Viel Lärm in der Wal-Kinderstube

Naturschützer kritisieren die Errichtung einer Forschungsplattform vor Sylt. Der Baulärm würde Schweinswale gefährden. Dabei soll das Projekt im Dienst von Umwelt- und Artenschutz stehen

Der Schweinswal (Phocoena phocoena) ist die einzige in Nord- und Ostsee heimische Walart. Die bis zu 1,80 Meter langen und 80 Kilo schweren Säuger sind die kleinsten aller Wale und die nächsten Verwandten der Delphine. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tummelten sie sich noch in großer Zahl in Küstennähe und bis weit in die Unterläufe von Ems, Weser und Elbe sowie Trave und Oder hinein. Nach jüngsten Schätzungen leben in der westlichen Ostsee noch 2.000 bis 6.000 Schweinswale und in einer getrennten Population vor Finnland, Nordschweden und dem Baltikum etwa 700 weitere. In der Nordsee wird der Bestand auf gut 100.000 Exemplare geschätzt. Vor der deutschen Westküste wurden im Jahr 2006 bei einem wissenschaftlichen Monitoring etwa 37.000 von Flippers kleinen Vettern gesichtet. Deren Kinderstube liegt vor den nordfriesischen Inseln Sylt und Amrum. Vor neun Jahren wurde dort ein 1.400 Quadratkilometer großer Teil des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer zu Europas erstem Walschutzgebiet erklärt. SMV

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Der Ausbau der regenerativen Energieerzeugung auf dem Meer ist eine Gefahr für Meeressäugetiere – diese Befürchtung sehen drei Naturschutzverbände nun erneut bestätigt. Ein aktuelles Forschungsvorhaben für die Windkraftnutzung „gefährdet die Kinderstube der Schweinswale“, behaupten der Naturschutzbund (Nabu) Schleswig-Holstein, die Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere (GSM) und die Gesellschaft zur Rettung der Delphine (GDR) in einer gemeinsamen Erklärung. Anlass ist die Errichtung der Forschungsplattform „Fino3“ 80 Kilometer westlich der Insel Sylt.

Dort wurde gestern ein 55 Meter langes Stahlrohr mit etwa sechs Metern Durchmesser gut 30 Meter tief in den Meeresboden gerammt – von einem 100 Tonnen schweren hydraulischen Rammbock mit etwa 3.500 Schockschlägen. Dieses so genannte Impulsrammverfahren würde Schweinswale und andere Meeressäuger „massiv stören und aus ihrem angestammten Lebensraum vertreiben“, kritisieren die drei Naturschutzvereine. Der Schalldruck bei den Bauarbeiten sei mit bis zu 225 Dezibel „extrem laut“. Die menschliche Schmerzgrenze markieren mit etwa 130 Dezibel Presslufthämmer und Kettensägen.

Zudem liegt vor Sylt die Kinderstube der Schweinswale (siehe Kasten). „Ausgerechnet in diesem Gebiet und ausgerechnet zur Zeit der Jungenaufzucht zu bauen, widerspricht Bekenntnissen zum Walschutz“, so die drei Organisationen. Die Schweinswal-Kälber seien jetzt etwa vier bis acht Wochen alt und schwämmen deutlich langsamer als ihre Mütter, sagt Petra Deimer, Meeresbiologin der GSM: „Das durch die Rammarbeiten ausgelöste Fluchtverhalten birgt die Gefahr, dass Kälber von ihren Müttern getrennt werden und sterben.“

Vor einem Jahr hatte bereits der Ölkonzern Wintershall mitten in der Nordsee mächtig Lärm veranstaltet. Rund um die Doggerbank an der Grenze der Wirtschaftszonen von Deutschland, Dänemark und Großbritannien hatte der Konzern mit Luftkanonen nach Öl und Gasvorkommen gesucht. Mehrere Wochen lang wurden alle acht Sekunden „niederfrequente Schallwellen“ von einem Spezialschiff in den Meeresboden gesandt. Das Echo machte die unterschiedlichen geologischen Schichten sichtbar.

Diese Aktion hatte zu heftiger Verstimmung zwischen Behörden geführt. Das Lärmbombardement war erlaubt worden vom Niedersächsischen Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie im Harzstädtchen Clausthal-Zellerfeld, das für den norddeutschen Bergbau selbst auf dem Meeresgrund zuständig ist. Das Bundesamt für Naturschutz hingegen hatte erfolglos vor möglichen Gefährdungen für Meeressäuger gewarnt. Letztlich war nur der Grenzwert der Schallwellen von den beantragten 260 auf 180 Dezibel gesenkt worden.

Ironischerweise soll die samt Aufbauten 185 Meter hohe Forschungsplattform „Fino3“ im Dienste von Klima-, Umwelt- und Tierschutz stehen. Wissenschaftler wollen dort an aerodynamischen Blattprofilen von Windturbinenflügeln arbeiten, Strukturen auf dem Meeresgrund erforschen und die Standsicherheit von Windenergieanlagen erproben. Auch Seegang und Vogelzug gehören zu den Forschungsthemen.

Und auch der Lärmschutz für Meerestiere soll dort erforscht werden. In Laborversuchen hatte ein Luftblasenschleier Schall absorbiert und reflektiert, der Lärm ging um zehn Dezibel zurück. Bei „Fino3“ soll ein doppelter Blasenschleier mit zwei Ringen zum Einsatz kommen.

Die Naturschützer aus dem hohen Norden kann das alles nicht beruhigen. „Wortreiche Konferenzen über Klima- und Artenschutz“ würde Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ständig veranstalten, mokieren sie sich, wenn es „aber um wirksame Schutzmaßnahmen vor Ort gehe, stellt er sich taub“.

Vielleicht aber ist er es schon.