Digitaler Wegweiser im Medizin-Dschungel

US-Universitäten bauen Medizin-Onlinelexikon auf. Anders als bei Wikipedia schreiben bei Medpedia nur Fachleute

BERLIN taz ■ Wer sich im Internet über Medizin informieren will, trifft auf ein unerschöpfliches Reservoir. Studienergebnisse lassen sich direkt bei Forschern einsehen, das Onlinelexikon Wikipedia erklärt Begriffe, soziale Netzwerke zu Gesundheitsthemen bieten Unterstützung an, und auch die Pharmaindustrie ist breit vertreten. Allein, es fehlt der Überblick: Wer nur mit Google sucht, kann sich nicht sicher sein, wie verlässlich das Dargebotene ist. Es braucht reichlich Medienkompetenz, um zu unterscheiden, welche Information was taugt.

Ein groß angelegtes Projekt eines Medizin-Onlinelexikons soll nun zum Wegweiser in diesem Dschungel werden. Die so genannte Medpedia soll zur weltgrößten, kostenlosen Onlineenzyklopädie für Gesundheitsthemen werden. Sie basiert auf der gleichen Grundsatztechnologie wie das Onlinelexikon Wikipedia: Teilnehmer können Informationen leicht ins Netz stellen und untereinander vernetzen. Der Unterschied: Während bei Wikipedia jeder mitmachen kann, schreiben bei Medpedia nur ausgewählte Fachleute mit.

Hinter dem Onlinevorhaben stehen die vier prominenten US- Medizinhochschulen Harvard Medical School, Stanford School of Medicine, Berkeley School of Public Health und die University of Michigan Medical School. Sie wollen renommierte Gesundheitsorganisationen aus aller Welt als Partner gewinnen. In Europa ist etwa die Oxford Health Alliance und der europäische Neurologenverband mit dabei.

Viel zu sehen gibt es von Medpedia derzeit noch nicht – nur eine Demonstrationsversion mit Beispielseiten. Erkennbar ist schon, wie man das Vertrauen der Nutzer gewinnen will: Jeder Autor wird eine eigene Profilseite bekommen, auf der seine Qualifikation und die Herkunft des Artikels beschrieben werden.

James Currier, Gründer und Vorsitzender des Medpedia-Projekts, betont, dass man von Wikipedia lernen wolle. „Wir haben in den letzten Jahren erlebt, welche Vorteile es hat, dass eine Website wie diese alles Wissen sammeln kann. Wenn wir als medizinische Gemeinschaft nun weiter experimentieren und ein solches Projekt anleiten, könnte Medpedia der Welt ähnliche Vorteile liefern.“ Linda Hawes Clever, klinische Professorin an der University of California in San Francisco, glaubt sogar, dass ein Projekt wie Medpedia „alle medizinischen und gesundheitsrelevanten Daten der Welt“ auf eine offene Plattform holen könnte. Dies diene auch den Medizinern selbst, weil sie sich dort profilieren und bekannt machen könnten. So verbessere Medpedia den globalen Dialog der Fachleute.

Derzeit ist geplant, dass Medpedia Ende 2008 online gehen wird. In wenigen Jahren sollen über 30.000 Erkrankungen und 10.000 Medikamente aufgenommen werden. Die Umsetzung liegt bei dem Unternehmen Ooga Labs aus San Francisco, das bereits mehrere Non-Profit- Plattformen entwickelt hat. Dort heißt es, dass man eine Einflussnahme der Pharmaindustrie, wie sie im freien Web möglich ist, verhindern möchte.

Hilda Bastian, Ressortleiterin Gesundheitsinformation beim unabhängigen Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), sieht die Notwendigkeit von Projekten wie Medpedia gegeben, ist aber nicht sicher, ob Medpedia funktioniert. „Das Projekt ist sehr ambitioniert, und man muss abwarten, ob es wirklich durchführbar ist, alles dort hineinzupacken.“

Es komme stark auf eine gute Qualitätssicherung an. Den Einfluss Dritter lasse sich bei solchen Vorhaben nie ganz ausschließen. Bastian sagt: „Entweder gibt es offene Sponsoren oder auch eine Art Selbstzensur von Wissenschaftlern, die ihren Geldgebern nicht auf die Füße treten wollen.“ BEN SCHWAN