ortstermin: weinstadt hamburg
: Etikett im Blitzlichtgewitter

Wein macht lustig. Wie lustig, bewies der Hamburger Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) bei der gestrigen Präsentation eines „künstlerisch gestalteten Etiketts“ für den eigenen Parlamentswein. Auf einem Tisch stehen drei davon, die Vorfreude bei Veranstaltern und Gästen im kleinen, aber prunkvollen Bürgersaal ist spürbar. Spätestens bei der Ankunft der Journalisten kommt man in Stimmung. Vor den zwei Stuhlreihen der Pressekonferenz werden Hände geschüttelt und Schultern geklopft, Röder hat schließlich „etwas besonders Schönes zu präsentieren“.

Am Stintfang über den Landungsbrücken liefern stolze 75 Rebstöcke Trauben für 50 Flaschen Cuvée auf „Qualitätsniveau“ pro Jahr. Der Verkehrsverein Stuttgart, der im Zuge seiner Fremdenverkehrswerbung jährlich ein Weindorf auf dem Hamburger Rathausplatz veranstaltet, hatte der Stadt 1993 50 Rebstöcke geschenkt und diese zehn Jahre später um weitere 25 aufgestockt. Auf den 500 Quadratmetern soll nun ein guter Tropfen entstehen – vom eigenen Weinberg der Stadt und ausschließlich vorbehalten für besondere Gäste. Und der verdient ein schickes Etikett.

Der Gestalter des Etiketts, Ingo Ferdinand Offermanns, Professor für Grafik an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg, will mit dem „reizvollen Projekt“ „Tradition, Festlichkeit und Modernität“ verbinden. Auf silbernem Hintergrund hat er goldene und weiße Trauben in einem goldenen Ring abgebildet. Zugegen ist Offermanns leider nicht, Röder erzählt daher in einer ernsten Minute von dessen plötzlicher Erkrankung und der großen Enttäuschung über den ihm entgangenen Termin. Dann verweist er jedoch auf Weinkenner und Vorsitzenden vom Pro Stuttgart Verkehrsverein e.V., Fritz Mutter, der stattdessen in aller Breite über die leckeren Eigenschaften der „Stintfang Cuvée“ referiert. Der Vortrag dauert etwa zehn Minuten.

Dann kommt die Fotosession. Auf dem Balkon des Rathauses, mit Blick auf das Weinfest auf dem Markt, soll die Übergabe des gestylten Fläschchens zelebriert werden. Ein aufregender Augenblick, schließlich ist diese Ernte die erste nach zwei ertragslosen Jahren, in denen die Trauben direkt vom Weinberg von Unbekannten gestohlen wurden. Bürgerschafts-Pressesprecher Wiesner weiß diesen medienwirksamen Moment, in Anpassung an die wolkigen Wetterumstände, rechtzeitig in den Innenraum zu verlegen: „Das sieht so trüb aus, das ist nicht so schön.“ Und so posieren Röder und Mutter mit strahlendem Lächeln im Bürgersaal. Vor der übergroßen Etikett-Abbildung auf einer Stellwand, vor dem großen Kamin, im Sitzen, mit Griff zur Flasche.

Unter größter Heiterkeit – bei Weinkennern und Fotografen – nimmt so eine Fotosause eben so viel Zeit in Anspruch wie die Reden selbst. Zärtliche Zurechtweisungen der Fotografen und ausgedehntes Posieren unter genauer Beobachtung des lächelnden Pressesprechers und des grinsenden Präsidenten, dessen Gesichtszüge bei fortschreitender Dauer immer mehr gefrieren. Es sei „ein solch schöner Termin“ für die junge Weinstadt im Norden.

Vielleicht aber auch einer der letzten, für den dieses Alleinstellungsmerkmal gilt. Das Landwirtschaftsministerium von Schleswig-Holstein hat gestern das Land Rheinland-Pfalz dazu bewegen können, ihm zehn Hektar Neuanpflanzungsrechte aus seinem Kontingent zu überlassen. Nun soll Schleswig-Holstein in den Kreis der deutschen Weinbauregionen eintreten. Per Eilverordnung übertrug Bundesminister Seehofer die offiziellen Anbaurechte.

Zehn Hektar sind 100.000 Quadratmeter, das ist 200 mal mehr, als Hamburg hat. Die Weinstadt Hamburg droht ins Hintertreffen zu geraten. Röder wird sein Lachen bald vergehen.

KRISTIANA LUDWIG