Der andere „springende Punkt“

betr.: „Das 20. Jahrhundert ist vorüber“, taz magazin vom 26. 7. 08

In dem Interview mit dem „Doyen der Rebellionsgeschichte, Wolfgang Kraushaar“ finden sich Ausführungen, die dem Anspruch eines Beitrags zu den „Wirkungszusammenhängen von 1968 in Ost-West-Perspektive“ nicht genügen. So wiederholt Kraushaar die verbreitete Sichtweise auf den Prager Frühling als „Reformversuch von der Parteispitze unternommen“. Dabei ist der „springende Punkt“ ein anderer gewesen: Der Prager Frühling wurde auch von demokratischen Initiativen „von unten“ mit getragen, wie sich aus dem Engagement von Schriftstellern, Bürgern und Bürgerinnen und Studierenden ergibt. In diesem Zusammenhang spielte das „Manifest der 2.000 Worte“ ebenso wie Bürgerinitiativen eine öffentlichkeitswirksame Rolle („Klub der engagierten Parteilosen“). In Erinnerung gerufen werden sollte auch die Rolle von unabhängigen Studentengruppierungen, die bereits im November 1967 und noch im Winter 1968/69 mit Versammlungen, Demonstrationen und Streikversuchen für Ziele der Demokratisierung „von unten“ eintraten. Außerdem gehört zu einem zeithistorischen Verständnis des „Prager Frühlings“ der Verweis auf die politische Rolle der Tagung des Schriftstellerverbandes vom Juni 1967, auf der zentrale Forderungen nach Abschaffung der Zensur und für Bürgerfreiheiten lange vor Reformen durch die kommunistische Partei erhoben wurden.

An einer anderen Stelle des Interviews verweist Kraushaar darauf, dass es „bereits 1966 „in Warschau eine Universitäts- und Studentenrevolte“ gegeben habe, bei der Adam Michnik eine „wichtige Rolle gespielt“ habe. Vermutlich meint Kraushaar hier die „Märzproteste von 1968“ an den polnischen Hochschulen, bei denen Adam Michnik als ein Sprecher der Studierenden an die Öffentlichkeit trat.

HELMUT FEHR, Professor an der Akademia Górniczo-Hutnicza,

Krakau, Polen