urdrüs wahre kolumne
: Blau so blau

Plötzlich wird der Lobby-Liberalismus zur gesetzgebenden Gewalt und die von Peter Alexander besungene Vision der kleinen Kneipe riecht wieder nach Erbrochenem und Meeresbrise-Duftsteinen UND Nikotin. Vor dem Bräustübchen einer Kleinstadt in Niedersachsen aber hocken die Gäste morgens um 11 und rufen vereinzelt „Wir sind das Volk“, bis sich selbst ihnen die Peinlichkeit offenbart. Die Verfassungsrichter haben gesprochen und rustikale Wirtinnen mit ausgeprägter RaucherInnenstimme überlegen nun, wie sie die Größe ihres Lokals um drei Quadratmeter herunterrechnen können. Zwei Stunden später im Bordrestaurant der Bahn zündet sich ein Erste-Klasse-Reisender demonstrativ eine Zigarre an und als der Kellner das untersagen will, meint dieser Nonkonformist: „Machense sich nicht lächerlich. Der Wind weht jetzt wieder anders“, und es war nicht mal Wolfgang Clement, dem sowas aber sofort zuzutrauen wäre.

Waffen und Drogen satt im Bremer Vereinsheim der Hells Angels – und in der Polizei offenbar kein Harley-Fahrer, der die Kumpels vorher hätte informieren können. In Hamburg und Hannover indessen berät das Rathaus-Protokoll bereits mit den Wirtschafts- und Tourismusförderern, wie sich beim nächsten Gastspiel der Kuttenträger ein Empfang durch die jeweiligen Bürgermeister organisieren ließe. Manchmal ist Hinterherhinken ganz sympathisch.

Bemerkenswerte Schamlosigkeit demonstrierte kürzlich das Osterholzer Kreisblatt mit der freudig bewegten Schlagzeile: „Nicht einmal 30 Demonstranten protestierten vor der Lucius D. Clay-Kaserne“. Anlass war die geringe Beteiligung an einer Protestaktion zum „Tag der Offenen Tür“ in Garlstedt bei Bremen, die sich gegen den Krieg in Afghanistan richtete. Und im konkurrierenden Anzeiger schwärmt man: „Für Kinder hatte sich die Logistikschule besonders ins Zeug gelegt. Wenn man als Kind alles ausprobiert hatte, was angeboten war, könnten die Eltern auch schon fast fertig sein mit dem, was Erwachsene so spannend finden“, heißt es da ein wenig kryptisch: „In unterhaltsamer Weise zeigte sich die Bundeswehr, führte Nahkampf vor und eine Bundeswehrmodenschau.“ Kurz: ein Tag, zu dem man nicht mal als Demonstrant gehen möchte.

Bei volksfesthaften Zusammenrottungen in Hamburg beobachtete ich schon wiederholt eine etwas einfallslose Lichtregie in Blau, die ich aber nicht weiter kritisieren wollte – in der Annahme, dass das man eben sparsam ist in der Stadt der Pfeffersäcke. Jetzt aber erfahre ich aus der Welt, dass sich ein „Lichtkünstler“ namens Michael Batz was gedacht hat bei der derzeitigen Verbläuung des Hafen-Areals: „Wir wollen zeigen, dass der Hafen ein urbaner Bedeutungsraum ist für Gefühle und Sehnsüchte.“ Wo lernt man, so zu quatschen – und tut das auf Dauer nicht weh?

Es ist nicht leicht, in einer Stadt wie Gifhorn 13 Jahre alt zu sein. Wenn man dann nach eigenem Bekenntnis auch noch Spaß haben will, zerkratzt man als junges Mädchen auch schon mal acht Autos und zerstört danach Blumenkübel. Hätte sie Letzteres unterlassen – der Lütten wären hilfreiche Tipps wohl sicher gewesen, wie man sich den Spaß am Leben durch Nichterwischtwerden dauerhaft erhält, merkt hierzu kritisch an ULRICH „Ritschratsch“ REINEKING

ULRICH REINEKING, Journalist und Kabarettist, will hier nicht zum Vandalismus wider Blumenkübel aufgerufen haben.