Eine Frau soll Haiti aus der Krise führen

Im dritten Anlauf gelingt es Haitis Staatschef, mit Michèle Pierre-Louis eine neue Ministerpräsidentin wählen zu lassen

BERLIN taz ■ Michèle Pierre-Louis ist am Donnerstagabend zur neuen Premierministerin von Haiti gewählt worden. Insgesamt 12 Mitglieder des Senats stimmten für die 61 Jahre alte Sozialwissenschaftlerin. Ein Senator stimmte gegen die künftige Regierungschefin, fünf Abgeordnete enthielten sich. Allerdings nahmen lediglich 18 der 30 Senatsmitglieder an der Abstimmung teil. Aufgrund des geltenden Quorums gilt damit die bisherige Vorsitzende der haitianischen Bildungsstiftung Fondasyon Konesans Ak Libète (Fokal) in ihrem Amt bestätigt. Allerdings muss die neue Ministerpräsidentin sich nach der Kabinettsbildung erneut dem Votum beider Parlamentshäuser stellen.

Die Wahl von Pierre-Louis beendet wenigstens vorübergehend die schwere politische Krise in Haiti, dem ärmsten Land Lateinamerikas. Nach gewaltsamen Protesten gegen exorbitante Lebensmittelpreise im April dieses Jahres, bei denen es zu Schießereien und Toten kam, stürzte der Senat den amtierenden Premierminister Jacques-Edouard Alexis, der derzeit nur noch interimsmäßig diesen Posten verwaltet. Nach wie vor ist Haiti eine der wichtigen Zwischenstationen für Drogen auf dem Weg vom lateinamerikanischen Kontinent in die USA. Eine schwache oder nicht handlungsfähige Regierung ist da vielen eine wichtige Voraussetzung, um ihre zwielichtigen Geschäfte über Korruption und Vetternwirtschaft abzusichern.

Da Staatspräsident René Preval, ein ehemaliger Weggefährte des seit 2004 im südafrikanischen Exil lebenden Jean-Bertrand Aristide, weder im Abgeordnetenhaus noch im Senat über eine ausreichende Mehrheit verfügt, wurde die Neuwahl des Ministerpräsidenten in beiden Parlamentskammern zum Hürdenlauf mit immer neuen Ablehnungsszenarien. Einen Alexis-Nachfolger lehnten die Abgeordneten ab, weil er auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besaß. Der andere fand keine Mehrheit, weil er den größten Teil seines Lebens im Ausland verbracht hatte und noch nicht lange genug wieder in Haiti gemeldet war.

Nur durch zahlreiche Privataudienzen mit „rebellischen“ Abgeordneten und Senatoren konnte Preval jetzt seiner dritten Kandidatin, Michèle Pierre-Louis, eine Mehrheit verschaffen. Was er den Abgeordneten dafür versprochen hat, ist nicht bekannt. HANS-ULRICH DILLMANN