ausgehen & rumstehen
: Von den Freuden des Camping, der Dixiklokultur und der Fischteiche

Während meiner Kindheit zeichnete sich niemand in meiner Familie durch besondere Campingfreude aus, und dementsprechend ratlos stehe ich vor den Stangen, der Zeltplane und den Heringen. Auch ich bin kein Freund der Campingkocher- und Dixiklokultur, ließ mich aber breitschlagen, mein Wochenende im „Camp Tipsy“ zu verbringen. Das im weitesten Sinne als Musikfestival zu bezeichnende Hippietreffen bei Erkner lebt von Solibeiträgen und dem offensichtlichen Wunsch nach einer Welt ohne Regeln.

Als das Zelt endlich steht, werden wir dennoch von einem resoluten Busbesitzer und Mitveranstalter darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Bereich nur für Wohnwagen vorgesehen ist. Regeln sind eben doch willkommen, wenn sie einem selbst nützen. Also bauen wir alles wieder ab und verziehen uns hinter eine verlassene Scheune, die uns Sicht- und Lärmschutz bietet, im Nachhinein betrachtet ein Glücksfall.

Direkt neben uns befindet sich eine Forellenzuchtanlage, für 10 Euro kann man bei dem leider wirklich sehr sympathischen, jungen Mann im Thor-Steinar-Shirt eine Angelrute ausleihen und sich einen, zuvor in den künstlich angelegten Tümpel verfrachteten Fisch fangen. Selbst dafür bin ich zu sehr Stadtkind und bevorzuge das fertige Endprodukt, welches mit Zwiebeln auf einem Brötchen liegt.

Nach dieser Stärkung erkunden wir das Gelände. Neben den unzähligen Freiluftclubs gibt es einen „Waldfloor“, ein „transzendales Meditationszentrum“, gigantische Tipis, ein aus Frischhaltefolie gebautes Labyrinth, jede Menge sogenannte VoKüs, ein Kino und keine Security. Größtenteils elektronische Beats hallen über das Areal und veranlassen die wenigen Besucher der Fischanlage immer wieder zu der Frage „ob das Musik sein soll?“. Als Verfechter des Lebensprinzips „immer gegen den Strom schwimmen“ schnappe ich mir einen Eimer Farbe und schreibe in großen Lettern „KRIEG“ auf mein Zelt, was mir viele Bekanntschaften und endlose Diskussionen einbringt.

Dann wird gefeiert. Auf dem Floor des Berliner „ZMF-clubs“ bietet mir jemand an, im Tausch gegen einen kräftigen Schluck aus meiner Wodkaflasche uns am nächsten Tag Nahrung zu bringen. Der Pakt wird besiegelt, und tatsächlich liegen um neun Uhr morgens zwei Pappteller mit Reis im Vorzelt – schade nur, dass ich um diese Zeit erst einmal schlafen gehen muss. Mehr als zwei Stunden Ruhe sind mir jedoch nicht vergönnt, denn einen Steinwurf entfernt beginnt nun eine polnische Punkband für ihr Konzert zu proben. Also wieder zu den Fischbrötchen.

Die Mutter des Forellenzüchters begrüßt die zögerlich eintrudelnden und teilweise etwas verstört auf die kurzgeschorenen Freunde ihres Sohnes schauenden Gäste mit einem herzlichen „Na komm’ Se ran uff Mundjeruch!“. Als es dunkel wird, kommt es dann zu der sich bereits anbahnenden Konfrontation. Ein DJ hatte den Beamer an einer der Tanzflächen verstellt und den Forellenteich mit Licht bestrahlt – wodurch die Teichbewohner wohl „verstört“ wurden – was Grund genug ist, eine handfeste Prügelei anzuzetteln. Hoffnungslos in der Unterzahl begreift allerdings auch die Dorfjugend schnell, dass man sich lieber die anderen 362 Tage im Jahr als Herrscher über Flora und Fauna aufführt. Als wir am Sonntagabend wieder auf dem Alexanderplatz stehen und ich plötzlich nur noch angezogenen und angepassten Menschen begegne, fällt mir Schiller ein: „Die schönsten Träume von Freiheit werden im Kerker geträumt.“

JURI STERNBURG