Im gläsernen Käfig

Seit fünf Jahren hat Kadou Bremen keinen Tag verlassen. Doch sein Leben ist das eines Zaungastes

Migranten, die der Staat nicht abschieben kann, werden nicht selten viele Jahre „geduldet“, anstatt ihnen eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zu reisen, zu arbeiten oder zu studieren ist ihnen verboten. Die psychosozialen Folgen sind gravierend. In Bremen leben 2.600 Geduldete – oft völlig isoliert. Die taz stellt einige von ihnen vor.

von Christian Jakob

Seine Wohnung ist eine kleine Halle mit vergitterten Fenstern in einem Industriegebiet. An der Tür ist keine Klingel. Das ist unpraktisch wenn man ihn treffen will, aber auch nicht weiter schlimm, weil Kadou nur selten Besuch bekommt.

In seinem Pass steht ein anderer Namen, aber den möchte Kadou nicht in der Zeitung lesen. Er will keinen Ärger mit den Ämtern, sagt er. Ärger vermeiden, das ist wichtig, wenn das Leben auf – er nennt es selbst so – derart „prekären“ rechtlichen Füßen steht, wie bei ihm.

Er hat gekocht, es gibt Kichererbseneintopf und Gurkensalat. Früher standen in dem kleinen Zimmer wohl Werkzeuge, heute Kadous Möbel. 315 Euro zahlt er jeden Monat dafür, fast genau die Hälfte seiner Bezüge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Kadou ist froh, dass er überhaupt etwas gefunden hat und aus dem Flüchtlingsheim ausziehen konnte.

Vor sechs Jahren kam er in die Stadt – und seit über fünf Jahren hat er Bremen nicht einen einzigen Tag verlassen. Die „Residenzpflicht“ verbietet es Menschen ohne festen Aufenthalt, frei im Land zu reisen. Genauso, wie es ihm verboten ist zu arbeiten, zu studieren oder seine Geschwister in Frankreich zu besuchen.

So bleiben nicht viele Dinge, die seine Tage füllen. Er geht viel spazieren. In der Pappelstraße, in der Neustadt meistens. Jetzt, im Sommer, da geht das gut. Es ist nicht so verregnet, dass man Geld bräuchte, um sich in ein Café zu setzen. Die Stunden im Internet-Café, wo er Emails schreibt und Zeitung liest, sind schon teuer genug.

Seine Woche strukturieren die zwei Tage, an denen er einen Deutschkurs in der Volkshochschule besucht. Ermäßigt, aber auf eigene Kosten. Den Rest der Zeit liest er. Lesen ist billig. Für fünf Euro kann er ein ganzes Jahr lang Bücher im Institut Français ausleihen. Ab und zu kauft er sich auch welche. „Meine Rechte als Hartz IV-Bezieher“ zuletzt, davor „Staatssoziologie“. Auf Deutsch. Er will „den Staat verstehen, damit ich verstehe, was hier mit mir passiert.“ Das Zuwanderungsgesetz hat er sich auf Französisch besorgt.

Hin und wieder nimmt er seinen Mut zusammen und versucht es noch einmal bei einer der vielen Zeitarbeitsfirmen. Das Ergebnis war stets dasselbe: „Sobald sie den Stempel sehen, schicken sie mich weg.“ Die Ausländerbehörde könnte ihm eine Arbeitserlaubnis erteilen, weigert sich aber. Was er arbeiten wolle? „Was soll ich schon wollen? Reinigungskraft, Lager, Gastronomie, das ist mir scheißegal.“ Schwarz arbeiten will er nicht. Er hat Angst, womöglich doch abgeschoben zu werden, wenn er sich strafbar macht.

Zuhause war er ein Buchhalter, seine Familie gehört einer Minderheit an, es gab Unruhen. Irgendwann hielt er es dort nicht mehr aus. Und hier? Er will nicht verbittert klingen: „Der Staat gibt eine Menge Geld für die Flüchtlinge aus“, sagt er. In seiner Zeit im Asylbewerberheim musste er mit 180 Euro im Monat auskommen. Nun, da er „dezentral“ untergebracht ist, bekommt er knapp das Vierfache. Auch wenn er davon alles selber zahlen muss: „Dieses Geld zu kriegen, ohne etwas dafür tun zu müssen, ist kolossal,“ vor allem verglichen mit seiner Heimat.

Und trotzdem: „Das ganze Gerede von der Integration ist lächerlich, solange sie uns nicht erlauben zu arbeiten.“ Das Leben der Flüchtlinge sei „wie in einem gläsernen Käfig: Du siehst auf die Straße, alles ist direkt vor deiner Tür, die Leute, die sich bewegen, aber du kannst nicht dazu kommen“, sagt er. „Wenn du lange so lebst und nichts machen darfst, dann wirst du ganz automatisch depressiv.“ In den ersten Jahren sei es auch ihm so ergangen, er sei „sehr aggressiv“ gewesen, habe „immer viel getrunken“.

Mittlerweile hat er sich mit der Situation etwas arrangiert. Seit 2005 wird er von einem französischsprachigen Psychotherapeuten behandelt. Dieser hatte „eine schwere reaktive Depression infolge innerer und äußerer Gefangenschaft“ in das Gutachten für die Krankenkasse geschrieben. Die hielt das offenbar nicht für übertrieben. Sie zahlte anstandslos. Kadou ist froh darüber. „Ich habe meine Seele ein bisschen aufgeräumt,“ sagt er.