Norddeutsche Asphaltträume

Die Handelskammer Lübeck hat ein neues Verkehrskonzept für Norddeutschland vorgelegt. Die Stadt sieht sich im Zentrum der Wachstumsachsen von Hamburg nach Schweden und Russland – und träumt von Autobahnen und der Fehmarnbelt-Brücke

Zu den weiteren wichtigen Verkehrsprojekten, welche sich die in der IHK Nord zusammengeschlossenen 14 Kammern aus den fünf Küstenländern laut einem Positionspapier aus dem Vorjahr wünschen, zählen in erster Linie: Autobahn A 21: Aus- und Neubau der B 404 als A 21 von Kiel nach Bargteheide an der A 1 sowie die Verlängerung zur A 7 südlich des Maschener Kreuzes. Diese Trasse würde die A 24 Hamburg-Berlin, die A 25 Hamburg-Geesthacht und die A 250 Hamburg-Lüneburg schneiden und eine Elbbrücke in der Nähe von Geesthacht erfordern – die so genannte Ostumfahrung Hamburgs. Autobahn A 26: Zügiger Bau der geplanten Trasse Hamburg-Stade bis zur A 20 bei Stade mit Fortsetzung als Küstenautobahn A 22 durch das nordwestliche Niedersachsen bis zur A 28 bei Westerstede mit einer Untertunnelung der Weser bei Brake. Autobahn A 39: Zügiger Bau der geplanten Trasse von Lüneburg über Uelzen und Wolfsburg zur A 2 bei Braunschweig. Autobahn A 241 / A 14: Aus- und Neubau der Strecke von Wismar über Schwerin bis Magdeburg mit Kreuzung der A 24 Hamburg-Berlin sowie einer weiteren Brücke über die Elbe westlich von Wittenberge.  SMV

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Vorfahrt für ungebremstes Wirtschaftswachstum fordert die Industrie- und Handelskammer (IHK) Lübeck. In einem am Mittwoch vorgestellten Positionspapier listet die Kammer der einstigen Hansekönigin penibel Dutzende von Projekten für „eine bedarfsgerecht ausgebaute Verkehrsinfrastruktur“ auf. Das Konzept sei „auf Nachhaltigkeit ausgerichtet“, beteuert IHK-Hauptgeschäftsführer Bernd Rohwer, von 2000 bis 2005 SPD-Wirtschafts- und Verkehrsminister im rot-grünen Kabinett von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis.

Die Offensive der Lübecker Kammer hat zwei Gründe. Zum einen soll in diesem Jahr mit der Neufassung des – ohnehin chronisch unterfinanzierten – Bundesverkehrswegeplans begonnen werden. Deshalb sei es wichtig, „Forderungen rechtzeitig zu formulieren“, weiß Rohwer noch aus seiner Zeit als Kieler Minister. Zudem sieht die Hansestadt an der Ostsee sich als Mittelpunkt zweier nordeuropäischer Wachstumsachsen. Vom Hamburger Hafen geht es über Lübeck auf dem Land an den Öresund mit den dänisch-schwedischen Metropolen Kopenhagen und Malmö sowie über die Ostsee nach Finnland, ins Baltikum und nach Russland – die Region mit dem größten Wachstumsraten in der EU, die bereits jetzt fast zehn Prozent des Weltbruttosozialproduktes erwirtschaftet.

Lübeck sei dafür „Brücke und Drehscheibe“, schreibt die IHK in ihrem Papier. Und um die Chancen zu nutzen, müsse kräftig gebaut werden. Ganz oben auf dem Wunschzettel, der bereits im vorigen Jahr in Abstimmung mit den 13 benachbarten Kammern skizziert wurde (siehe Kasten), stehen drei Projekte: Die Fertigstellung der Autobahn A 20, der Ausbau von A 1 und A 7 sowie der Bau einer Brücke über den Fehmarnbelt nach Dänemark.

Die Ostseeautobahn A 20 ist seit Ende 2005 auf 323 Kilometern Länge zwischen Lübeck und Stettin befahrbar. Nun soll die Trasse durch Schleswig-Holstein weitergebaut werden, in einem Bogen nordwestlich um Hamburg herumführen und bei Glückstadt in einem privat finanzierten Tunnel die Elbe unterqueren. Bei Stade in Nordniedersachsen träfe sie auf die A 26 nach Hamburg und die A 22 nach Ostfriesland. Nach Ansicht der IHK ist diese Autobahn „von allerhöchster Bedeutung und daher vorrangig zu realisieren“.

Einen sechsspurigen Ausbau wünscht sich die Kammer für zwei Autobahnen nördlich und südlich Hamburgs. Die A 7 sollte von Hannover bis mindestens zum Bordesholmer Dreieck durchgängig erweitert werden, gleiches gilt für die A 1 vom Bremer Kreuz über Hamburg und Lübeck bis nach Fehmarn. Nach IHK-Meinung ist es „unmöglich“, dass die drei größten deutschen Häfen nur über eine vierspurige Autobahn „mit fast ständigen Staus“ verbunden seien.

Die Krönung aber ist die feste Querung des Fehmarnbelts mit einer rund 20 Kilometer langen Straßen- und Schienenbrücke zwischen den Fährhäfen Puttgarden auf Fehmarn und Rødby auf Lolland. Ende diesen Jahres wollen Deutschland und Dänemark in einem Staatsvertrag die Grundzüge des Brückenschlags festschreiben.

Danach soll Dänemark den Bau in eigener Regie und auf eigenes Risiko betreiben und durch Mauteinnahmen refinanzieren. Mindestens fünf Milliarden Euro muss das kleine Nachbarland aufbringen, um die Brücke zwischen 2011 und 2018 zu realisieren. Bundesregierung und Deutsche Bahn wollen höchstens 800 Millionen für den Ausbau von Straßen- und Schienenanschlüssen durch Schleswig-Holstein beisteuern.

Für die Lübecker Handelskammer würde die Betontrasse über die Ostsee die Wirtschaftsräume Hamburg und Öresund „zu dem wichtigen Gravitationszentrum im Norden der EU verbinden“ – mit „positiven Effekten“ für Arbeit und Wohlstand entlang der gesamten Strecke.

Dazu müsste aber der Bundesverkehrswegeplan von jährlich neun auf mehr als zwölf Milliarden Euro aufgestockt werden, damit im Norden das investiert werden kann, was nach Rohwers Ansicht „für die Drehscheibenfunktion der Hafenregionen“ erforderlich wäre. Es scheint, nur Geldmangel könnte die Asphaltträume zur Strecke bringen.