Ein Lattenzaun tanzt die Sinuskurve

Konzentrationsübungen: Mit den Fotografien von Ricarda Roggan, Skulpturen von Albrecht Schäfer und alten Filmen des Bildhauers Richard Serra zeigen die Kunst-Werke drei Werkkomplexe, die das Raumerleben verändern

Zwei Neuentdeckungen treffen auf einen alten Bekannten, der allerdings seine unbekannte Seite zeigt. Ricarda Roggan, Albrecht Schäfer und Richard Serra: Drei auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Künstler präsentieren die Kunst-Werke übereinander. Präzise, konkret und doch poetisch bietet die Kuratorin Susanne Pfeffer damit eine äußerst gelungene Antwort auf die in ihrer Überfülle beliebige Berlin Biennale, die vor einigen Wochen zu Ende gegangen ist.

Albrecht Schäfers gewitzte, in vorgeblicher Einfachheit überzeugende Kunst ist noch von der Frühjahrsausstellung „… 5 minutes later“ in Erinnerung. Hier lud Pfeffer Künstler und Künstlerinnen ein, innerhalb von fünf Minuten produzierte Arbeiten zu zeigen. Der 1967 in Stuttgart geborene Schäfer klemmte damals einfach zwei Dachlatten zwischen Decke und Boden, die etwas länger als die lichte Höhe des Raus waren. In der Spannung zweier spiegelsymmetrischer Hyperbeln machten sie in ihrer Zeichenhaftigkeit deutlich, worum es in dem Projekt ging. Um eine Idee und ihre Ausführung im Raum.

Schäfer hat es ganz offensichtlich mit Dachlatten. Nun spannt er mehr als 300 der roh zugesägten Leisten so zwischen Betonboden und Kappendecke, dass sich die horizontale Wölbung der für Berliner Fabrikgebäude typischen Deckenkonstruktion in einen dreidimensionalen, vertikalen Schwung transformiert. Schäfer analysiert genau die Charakteristika des Raums sowie die Eigenschaften des von ihm verwendeten Materials und komponiert daraus eine architektonische Installation zwischen Lattenzaun und Sinuskurve, Rotationskörper und Retro-Raumplastik. Die im Ausgangsmaterial konservierte Dynamik setzt Schäfer wieder frei.

In einer Videoinstallation verfolgt eine Kamera einen in der Thermik kreisenden Raubvogel. Je nach dem, wie viel Wirbel die Besucher in der Ausstellung machen, fängt auch der Projektor an sich kreisend zu bewegen, hängt er doch nur an einem dünnen Drahtseil. Eine Etage höher sucht Schäfer nach geheimen Formen in Funktionsmöbeln. Seziert Papierlampen, wickelt Korbsessel auseinander und wieder zusammen, verschränkt Jalousien zu in eleganter Geometrie verdrehten Skulpturen.

Auch die Dresdner Fotografin Ricarda Roggan (geboren 1972) zeigt Dinge, die ihrer ursprünglichen Funktionalität enthoben wie Skulpturen wirken. Unfallautos, die im Dunkel einer Lagerhalle auf ihre Verschrottung oder ihre Reparatur warten. Der unwillkürliche Gesichtscharakter der Limousinenschnauzen wird durch den Makel der Verletzung noch gesteigert. Roggans gezielte Lichtsetzung tut ihr übriges, den Autos ein Antlitz von Vanitas zu verleihen.

Im Dachgeschoss präsentiert Altmeister Richard Serra 16mm-Filme aus den 1960er- und 1970er-Jahren. „Wahrscheinlich musste ich diese Filme drehen, um mir den Unterschied zu Skulptur noch deutlicher zu machen.“ Für die Besucher machen aber gerade auch die Filme seine Skulpturen deutlich und tragen so zum Verständnis der monumentalen Eisenplastiken des Materialfetischisten bei. Mal fallen Bleistücke von oben in den Bildausschnitt und schwärzen die sie zu fangen versuchende Hand. Dann wieder werden Stahlspäne vom Boden gesammelt oder ein Ausschnitt einer Wand vermessen. Die Filme dokumentieren aber nicht nur der Hände Arbeit, dargestellt an ihrer Geschicklichkeit und Beweglichkeit. Sondern im wahrsten Sinne des Wortes geht es Serra um das Begreifen von Raum mit den Händen und allen angeschlossenen Sinnen.

MARCUS WOELLER

Ricarda Roggan: „Still Life“, Albrecht Schäfer: „Winds and Windings“, Richard Serra: „Thinking on Your Feet“ im KW Institute for Contemporary Art Berlin, Di.– So. 12–19 Uhr, Do. 12–21 Uhr, bis 7. September