Herren, die beim „Sie“ blieben

Carl Schmitt und sein Schüler Ernst Forsthoff waren bedeutende konservative Juristen. Ein nun edierter Briefwechsel dokumentiert ihr Verhältnis und die politischen Kommentierungen eines halben Jahrhunderts Zeitgeschichte

Carl Schmitt als Jurist – wer hätte das gedacht: Den gab es auch. Man lernte ihn seit geraumer Zeit als Stilisten von Graden kennen, als verkappten Theologen, als Polyhistor, als Freund bedeutender Männer. Doch er war eben auch – bis 1945 – Juraprofessor, und als solcher hatte er Schüler.

Er hatte sehr unterschiedliche Schüler; über den „Preußenschlag“ von 1932, bei dem er mitwirkte, ließ er zwei sehr gegensätzliche schreiben: Ernst Rudolf Huber von rechts, Otto Kirchheimer von links. Ein früher und zugleich sehr treuer Schüler war Ernst Forsthoff. Der Briefwechsel mit seinem Lehrer, der jetzt gut kommentiert erschienen ist, reicht über fast ein halbes Jahrhundert und ist überreich an zeitgeschichtlichen Hinweisen und Einblicken.

Fortsthoff, 1902 in Duisburg geboren, war Sohn eines evangelischen Pfarrers. Im Alter von 23 Jahren promovierte er in Bonn bei Schmitt, die Habilitation erfolgte 1930 in Freiburg. 1933 publizierte Forsthoff die Schrift „Der totale Staat“, die ihn weithin berühmt und bis zum Ende seines Lebens berüchtigt machte. Im selben Jahr profitierte er vom Freiwerden zahlreicher Lehrstühle durch die Vertreibungspolitik der Nationalsozialisten. Forsthoff war ein überzeugter, aber keineswegs ein stets angepasster Staatsdiener des „Dritten Reichs“. So war ihm die Fortsetzung seiner Lehrtätigkeit nach 1945 möglich. Er war nach manchen Umwegen in Heidelberg angekommen und blieb dort bis zu seiner Emeritierung. In elitären Kreisen war und ist er bekannt wegen der von ihm organisierten Ebracher Ferienseminare, bei denen nicht nur Schmitt, sondern auch der Münsteraner Philosoph Joachim Ritter und der Historiker Reinhart Koselleck auftraten.

Es war immer viel Fassade, was einem beim Namen Schmitt oder Forsthoff begegnete. Der Blick hinter Fassaden ist nicht immer schön, ihn zu riskieren hat aber nichts mit Schlüssellochguckerei zu tun, eher mit einem Blick ins wirkliche Leben. Man sollte bei der Lektüre keinen Augenblick die historische Differenz vergessen, die den Leser von heute von den Briefschreibern von damals trennt. Gleichwohl ist es nicht gut möglich, die Augen vor Details zu verschließen, die mitteilsamer sind, als es den Autoren beim Notieren derselben bewusst war. Da empfiehlt Forsthoff 1932 Schmitt einen jungen Doktoranden als Assistenten: „Herr Würtenberger (kein Jude) ist der diesjährige Preisträger der Fakultät.“ Und Schmitt bedankt sich bei seinem Schüler 1964: „Mit Vergnügen las ich in der NatZtg Ihr Interview über Zypern, in der gleichen Nummer ein guter Aufsatz vom F. J. P. Veale über Hochhut.“ „NatZtg“ war die Deutsche National- und Soldatenzeitung, ein rechtsextremistisches Schmierblatt; in Zypern wirkte Forsthoff einige Zeit als Verfassungsrichter.

Verfassungsgerichtsbarkeit ist eines der hervorstechenden Themen dieses Briefwechsels. Lehrer und Schüler waren sich in der Bundesrepublik von Anfang an darüber klar, dass dieser Staat ein zur Lächerlichkeit verurteiltes Unternehmen war, kein Staat eben, sondern eine Veranstaltung, deren Scheitern absehbar war. Für das Bonner Grundgesetz hatten sie nur Hohn und Spott übrig, dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe galt ihre ganze Verachtung. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass Schmitts Quasischüler Ernst-Wolfgang Böckenförde und Forsthoffs später Schüler Hans Hugo Klein beide, ohne mit ihren Lehrern und Förderern zu brechen, hochgeachtete Verfassungsrichter in Karlsruhe wurden.

Die Herren, die vornehm beim „Sie“ blieben, verfehlten nicht, auch am Familienleben des jeweils anderen teilzunehmen. Von Theologischem, das manche Schmitt-Interpreten bei ihm so hoch veranschlagen, ist hier wenig die Rede, obwohl es bei einem wie Forsthoff hätte naheliegen können. Aus den zwölf Jahren der Diktatur gibt es von ihnen, so scheint es, nur fünf kurze Briefe. Die letzten Jahre der Juristen scheinen etwas überschattet gewesen zu sein von der Tatsache, dass Forsthoff in Heidelberg einigermaßen von dem Wirbel getroffen wurde, den die Studenten mit ihrer Revolte veranstalteten, Schmitt hingegen sein eigenes 1968 erlebte und zweifellos genoss: Er wurde von einigen der Linken entdeckt. Aber das, um es mit Billy Wilders Moustache zu sagen, ist eine andere Geschichte.

Ernst Forsthoff, Carl Schmitt: „Briefwechsel 1926–1974“. Herausgegeben von Dorothee und Reinhard Mußgnug und Angela Reinthal. Akademie Verlag, Berlin 2008, 592 Seiten, 49,80 Euro