Techno ins Museum

Der Dandy und die Bassdrum: Wolfgang Voigt, ein Herr mit vielen Alias, versteht sich auf die Kunst des Weglassens. Ein Abend im Haus Huth

VON KITO NEDO

Seit der Schließung des Tresors an der Leipziger Straße vor ein paar Jahren spielt der Potsdamer Platz in der Psychogeografie des Berliner Nachtlebens kaum noch eine Rolle. Nur Berlin-Veteranen können noch von Partys erzählen, die kurz nach der Wende in irgendwelchen verlassenen Kellerlöchern am Rande der großen Brachfläche stattgefunden haben sollen – in den mythischen Jahren, bevor die Bagger und die Baukolonnen kamen.

Zu den Großkonzernen, die in den Neunzigerjahren maßgeblich an der Entwicklung des Platzes als Shopping-, Geschäfts- und Entertainmentviertel beteiligt waren, gehörte die Stuttgarter Daimler Benz AG. Ganz unbescheiden ließen sich die Schwaben damals vom italienischen Stararchitekten Renzo Piano auf 68.000 Quadratmetern eine ganze „Daimler City“ hinklotzen, von der sich der Konzern in der letzten Krise freilich schon wieder trennte.

Dass nun ausgerechnet hier, in der Berliner Dependance der konzerneigenen Kunstsammlung im historischen Haus Huth, der Kölner Techno-Produzent und Labelinhaber Wolfgang Voigt mit Sascha Kösch, dem Berliner Herausgeber des Magazins De:Bug, über die Dignität der geraden Bassdrum plauderte, entbehrte also nicht einer gewissen Ironie.

Doch weder Voigt noch Kösch fremdelten mit dem Kontext, einer Ausstellung mit Minimal-Kunst-Klassikern aus einer Hamburger Privatsammlung und der Daimler Art Collection. Ganz im Gegenteil, alle Anwesenden, inklusive des für das Anspielen von Hörbeispielen zuständige De:Bug-Redakteurs Ji-Hun Kim, schienen das semi-museale Ambiente sehr zu schätzen. Frühzeit-Techno, das war die unausgesprochene Botschaft, gehört ins Museum, und zwar nicht als musikalische Untermalung für die Feier am Eröffnungsabend, sondern als Exponat in die Sammlung. Dazu passte die Ernsthaftigkeit, mit der hier über die Kunst des Weglassens und die Dinge gesprochen wurde, die links und rechts der Bassdrum passieren oder eben nicht.

Besonders Voigt, der sich mit einem grauen Herrendreiteiler, schwarzen Prada-Stiefeletten und einer dezent exzentrisch wirkendenen, über dem weißen Hemdärmel getragenen Armbanduhr präsentierte, war fest entschlossen, sich von den Eitelkeitsanflügen des Moderators Simon Elson nicht den Abend verderben zu lassen. Unbeirrt erklärte er seine ästhetische Praxis als Produzent und Kompakt-Labelmacher mit prägnanten Sätzen wie: „Entscheidend ist: Was will ich ausdrücken? Von wem will ich verstanden oder nicht verstanden werden?“ An einer Stelle allerdings platzte dem professionell-freundlichen Rheinländer, dessen Look entfernt an die Sphinxhaftigkeit eines Wolfgang Joop erinnerte, fast der Kragen: Elson hatte einmal zu viel Minimal, Techno und Elektro durcheinandergebracht. Während sich im Techno alles um die gerade Bassdrum drehe, sei Elektro durch gebrochene Beats gekennzeichnet, stellte der Meister die Sachlage ein letztes Mal klar.

Wirklich neu ist diese Information jedoch nicht. Es war also nicht der Abend der Offenbarungen. Wer ihn verpasst hat, findet Gehaltvolleres zu Voigt und seinem Wirken als Mike Ink und anderen Pseudonymen etwa in dem von Kösch verfassten Porträt in der von Philipp Anz und Patrick Walder herausgegeben Rororo-Techno-Fibel von 1999. Damals war von Minimal-Art-Referenzen noch keine Rede, stattdessen galt Voigts Musik noch als eine Art reduzierter Dada-Funk.

Es hätte also schon ein paar mehr Fragen bedurft, um wirklich herauszufinden, was sich seitdem Neues im Hause Kompakt zugetragen hat. Man hätte beispielsweise gerne gewusst, warum Voigt gerade jetzt seine sphärische Gas-Tetralogie aus den Neunzigerjahren wiederveröffentlicht und demnächst auch in einem Leipziger Theater vor Publikum zur Aufführung bringen wird. Damals waren die Platten wegen Titeln wie „Königsforst“ und ihrer angedeuteten Wagnerhaftigkeit bei manchen Leuten tatsächlich umstritten. Heute denkt man beim Anblick der verästelten Cover vielleicht noch an Anselm Kiefer. Eine weitere Frage wäre gewesen, wie Voigt es gelang, für das gemeinsam mit seinem Bruder Reinhard vor zehn Jahren gegründete Kompakt-Label international unter Clubgängern einen ähnlichen Qualitäts-Nimbus zu erobern, wie ihn Mercedes unter Autofahrern genießt.

Stattdessen lauschte man zum Ausklang des anderthalbstündigen Treffens der neuesten Voigt-Veröffentlichung auf Profan, einem Kompakt-Unterlabel mit dem Titel „Freiland-Klaviermusik“. „Das könnte man – mal abgesehen von der geraden Bassdrum – als Kunst bezeichnen, handgemachte Klaviermusik“, kommentierte Voigt und entließ seine Zuhörer in den Touristentrubel einer lauen Berliner Sommernacht.