„Ich will nicht provozieren“

Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) im taz-Interview über eine Flüchtlingspolitik mit ehrlichen Angeboten, die Rote Flora, das Klima- und Antirassismus-Camp und 100 Tage Koalition mit der GAL

CHRISTOPH AHLHAUS, 38, Jurist, war CDU-Landesgeschäftsführer, Bürgerschaftsabgeordneter, Innenstaatsrat und ist seit 7. Mai Innensenator.

INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Ahlhaus, es gibt jetzt einen Vertrag zwischen der Stadt und dem Klima- und Antirassismus-Camp in der nächsten Woche in Hamburg. Erleichtert es Sie, mehr als 2.000 aus Ihrer Sicht wohl potenzielle Unruhestifter nun an einem Ort unter Kontrolle zu haben?

Christoph Ahlhaus: Durchaus. Wäre ein unkontrolliertes und rechtswidriges Campen in der Stadt erfolgt, hätten wir auf Anforderung durch das zuständige Bezirksamt räumen müssen. Bei der Personenzahl wäre das natürlich ein massiver Polizeieinsatz gewesen. Der wird nun, so sieht es jedenfalls aus, nicht erforderlich sein.

Aktionen soll es dennoch geben: Eine Besetzung des Bauplatzes in Moorburg ist ebenso angekündigt wie Protest auf dem Flughafen. Sehen Sie dem mit Besorgnis entgegen?

Ja, natürlich. Selbst wenn es als „ziviler Ungehorsam“ etikettiert wird, handelt es sich um Ordnungswidrigkeiten und eventuell Straftaten. Da wird die Hamburger Polizei konsequent einschreiten. Gerade der Flughafen ist ein sensibler Sicherheitsbereich, da können wir keinen Spaß verstehen.

Auf dem Flughafen soll explizit gegen die „menschenrechtswidrigen Praktiken der Abschiebestadt Hamburg“ protestiert werden. Nehmen Sie das persönlich?

Nein, Hamburg ist keine Abschiebestadt. Dieser Vorwurf ist an den Haaren herbeigezogen.

Seit wann denn das?

Dass in der Flüchtlingspolitik in den vergangenen Jahren vieles nicht optimal gelaufen ist, ist unbestritten. Diese Diskussion muss geführt werden, aber mit Unterstellungen führt man nur ideologische Kämpfe, die in der Sache nicht weiterhelfen.

Noch im April gab es einen Fall, in dem im Morgengrauen eine Familie auseinander gerissen wurde, gut integrierte Kinder wurden vor einem Schulabschluss abgeschoben – soll das unter einer schwarz-grünen Koalition so weitergehen?

Nein. Ich bin persönlich der Auffassung, dass wir über die Flüchtlingspolitik neu sprechen müssen. Auch die CDU hat da einen Lernprozess durchgemacht. Deutschland ist faktisch ein Einwanderungsland, dazu bekennen wir uns. Wir müssen jetzt darüber sprechen, was das politisch konkret bedeutet.

Nämlich?

Wir müssen einsehen, dass ein Flüchtling, der zehn Jahre oder länger hier lebt, vielleicht auch noch mit Kindern, die zur Schule gehen, einen faktischen Integrationsprozess durchgemacht hat. Wir sollten diesen Flüchtlingen, von denen wir doch wissen, dass sie bleiben wollen, von Anfang an ein ehrliches Angebot machen.

Wie könnte das aussehen?

Sie sollen unsere Wertvorstellungen respektieren, Deutsch lernen, Bildungs- und Ausbildungsangebote wahrnehmen und dafür bekommen sie eine Arbeitserlaubnis, um ihr eigenes Leben hier finanzieren zu können. Zugleich sollten wir den Mut haben zu sagen, wen wir wollen und wen nicht. Die Illusion, Retter der Welt zu sein, müssen wir aufgeben.

Das heißt, Sie wollen sich die Flüchtlinge aussuchen: gute Bildung, keine Vorstrafen, Integrationsbereitschaft …

Ich halte es für legitim, unser Interesse deutlicher zu betonen.

Das Asylrecht berücksichtigt keine Schulbildung, sondern allein politische Verfolgung und Unterdrückung.

Ja, und deshalb glaube ich, dass wir eine Änderung bundesweit diskutieren müssen. Hier aus Hamburg haben wir diese Anregung bereits im Zusammenhang mit den Irak-Flüchtlingen in einem Schreiben an Bundesinnenminister Schäuble eingebracht. Ich kann Ihnen versichern, dass diese Vorstellungen auch bei anderen CDU-Innenministern durchaus auf positive Resonanz gestoßen sind.

Das würde aber auch eine Änderung des Asylrechts im Grundgesetz bedeuten.

Das kann sein, aber so weit sind wir noch nicht.

Zurück nach Hamburg: Haben Sie sich inzwischen mit dem grünen Koalitionspartner anfreunden können – oder geht er Ihnen gehörig auf die Nerven?

Wir kommen gut miteinander aus, ohne dass inhaltliche Differenzen ausgeräumt wären. Beide Seiten haben ihre Grundüberzeugungen, deshalb kann eine Zusammenarbeit nur funktionieren, wenn man respektvoll miteinander umgeht. Der Koalitionsvertrag ist die Geschäftsgrundlage, daran halten wir uns. Die Zusammenarbeit nach den ersten Monaten ist aus meiner Sicht positiv und vertrauensvoll. Das ändert nichts an Meinungsunterschieden in Einzelfragen.

Ist es Ihnen schwer gefallen, im Koalitionsvertrag zu akzeptieren, dass die Videoüberwachung evaluiert werden soll?

Überhaupt nicht. Wenn sich etwas als nicht so sinnvoll herausstellt wie erhofft, dann muss man offen zugeben, dass es eine Fehleinschätzung war und es dann besser machen. Ich sage aber auch deutlich, dass ich die Videoüberwachung für sinnvoll halte. Aber wenn sich herausstellt, dass der eine oder andere Standort nicht so sinnvoll ist wie gedacht, dann werden wir auch die Konsequenzen ziehen.

Unter einem Innensenator Ahlhaus könnten also Videokameras abgebaut werden?

Natürlich. Wenn das Ergebnis nicht stimmt, kann das vorkommen.

Sie haben Ihren Koalitionspartner jüngst ordentlich provoziert: Es gab einen Polizeikessel bei einer Demo des Rote-Flora-Umfelds, es gab Ihre Forderung nach Online-Durchsuchungen. Ist das der respektvolle Umgang, den Sie vorhin beschworen?

Es ist nicht meine Absicht zu provozieren. Allerdings gibt es fachliche Einschätzungen, und die können keinen Denk- oder Sprechverboten unterliegen. Ich bin überzeugt, dass wir die Online-Durchsuchung brauchen, für die GAL ist das ein inhaltlich schwieriger Punkt. Wir haben vereinbart, dass wir in dem vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Rahmen diskutieren. Nichts anderes will ich. Und einen Polizeikessel gab es nicht.

Laut Antwort Ihrer Behörde auf eine Anfrage der Linken gab es den am 6. Juli doch.

Nein. Es gab eine seitlich einschließende Begleitung …

Ich zitiere aus der Antwort: „Der Aufzug wurde seitlich abgesetzt sowie vorne und hinten durch Polizeikräfte begleitet.“ Also Polizisten an allen vier Seiten – aber kein Kessel?

Dennoch war in Übereinstimmung mit dem Koalitionsvertrag gewährleistet, dass jeder die Demonstration jederzeit verlassen oder zu ihr dazukommen konnte. Eine seitliche Begleitung darf es nur bei einer Einzelfalleinschätzung der Polizei geben, das war hier der Fall.

Demonstrationen im polizeilichen Wanderkessel werden also in Hamburg künftig die Ausnahme sein?

Es kann nur im Einzelfall nach Bewertung der Polizei eine seitliche Begleitung geben.