„Diskursiv wird es zugehen“

Er will das Haus zur Stadt hin öffnen und mehr gesellschaftspolitische Projekte initiieren: Florian Waldvogel, derzeit tätig in Rotterdam, wird ab Januar 2009 den Hamburger Kunstverein leiten

FLORIAN WALDVOGEL, 39, ist derzeit Chefkurator im Witte de With Center for Contemporary Art in Rotterdam.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Waldvogel, wird der Kunstverein unter Ihrem Dirigat politischer?

Florian Waldvogel: Ich werde ihn nicht total umkrempeln, aber zur Stadt öffnen. Konkret strebe ich Kooperationen mit Partnern vor Ort – etwa dem Institut für Sozialforschung – an, um komplexere gesellschaftliche Themen zu bearbeiten.

Welche gesellschaftlichen Themen meinen Sie?

Konkrete Projekte kann ich noch nicht nennen. Aber es wird um Projekte und Themen gehen, die untersuchen, wie Menschen innerhalb politischer und ökonomischer Strukturen, die ihr Leben bestimmen, kulturelle Möglichkeiten und Spielräume für individuelles Handeln finden und wie diese genutzt werden können. Es wird darum gehen, jene kulturellen Mechanismen und Strukturen zu untersuchen, die solches Handeln begünstigen, fördern oder einschränken.

Zielen Sie auch auf speziell hamburgische gesellschaftliche Verwerfungen?

Möglicherweise. Um konkrete Themen zu nennen, habe ich mich aber noch nicht lange genug in Hamburg aufgehalten.

Sind Kooperationen mit anderen Institutionen nicht ein Armutszeugnis für den Kunstverein – nach dem Motto: Er kann nicht für sich stehen?

Würde ich nicht so sehen. Kooperationen und Vernetzungen stehen inzwischen in allen Bereichen auf der Tagesordnung. Es hat nichts damit zu tun, dass man nicht mehr autonom arbeiten kann; es gibt ja genug Institutionen in Deutschland, die sich auf autonome Kunstprojekte spezialisiert haben. Da die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen und theoretischen Diskursen innerhalb einer Kunstinstitution sowie die Verschränkung von Theorie und Praxis in Form projektorientierten Arbeitens selbstverständlich sein sollten, braucht man Partner, um bestimmte Fragestellungen angemessen bearbeiten zu können.

Wie würden Sie die Rolle des modernen Kunstvereins definieren?

Früher hat man gesagt, der Kunstverein muss sich der jungen Szene zuwenden, das Museum archiviert das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft, und die Kunsthalle zeigt populärere Ausstellungen. Inzwischen hat sich das alles verschoben. Eine Kunstmesse hat heute oft ein größeres diskursives Begleitprogramm als manche Kunstinstitution. Ich denke, dass es den klassischen Aufgabenbereich des Kunstvereins nicht mehr gibt. Aber Schwerpunkt soll natürlich die zeitgenössische Kunst sein.

Werden Sie mehr Hamburger Künstler zeigen als Ihr Vorgänger?

Es gibt hier eine sehr vitale Kunstszene und eine hervorragend aufgestellte Kunsthochschule. Ein Schwerpunkt wird also auf jeden Fall die lokale Szene sein.

Werden Ihre Ausstellungen weniger theorielastig sein als die Ihres Vorgängers?

Yilmaz Dziewior, 44, leitet seit 2001 den Hamburger Kunstverein und scheidet auf eigenen Wunsch zum 31. Dezember 2008 aus. Er wird sich zunächst freien Tätigkeiten widmen: Ein großes Projekt im Nahen Osten sowie ein Buchprojekt stehen an. „Auf längere Sicht“, sagt er, wolle er aber wieder in einer Institution tätig sein.

Meike Behm, 41, Kunsthistorikerin und Kuratorin, ist seit 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Hamburger Kunstvereins und übernimmt am 1. Januar 2009 die Leitung des Kunstvereins Lingen im Emsland. PS

Ich habe keinen komplett anderen Zugang, wohl aber andere Präsentationsmodelle: Ich nehme oft Arbeiten mit auf, die nicht dem klassischen Kunstbereich entstammen, sondern anderen gesellschaftlichen Bereichen. Das kann von der Kinderzeichnung über die Werbeverpackung bis zum Industriedesign reichen. Weil nämlich die Grammatik einer Ausstellung durch das Zusammenspiel medial unterschiedlichster Gegenstände deren Kommunikationspotenzial aktivieren kann. Außerdem lassen sich so Induktionslücken überwinden und versteckte philosophische, film-, kultur- und kunstgeschichtliche Hinweise enträtseln. Aber diskursiv wird es auch bei mir zugehen.

Wie wollen Sie den Kunstverein auf der hiesigen Kunstmeile verorten? In harter Konkurrenz zur Galerie der Gegenwart und den Deichtorhallen?

Das ist keine Konkurrenz, sondern wir sind komplementäre Partner. Auch die Galerienszene ist ja sehr stark, die Off-Szene und die Theater. Interessant ist, mit ihnen allen zu besprechen, wo es Kooperationsmöglichkeiten und Synergieeffekte gibt.

Würden Sie sich als klassischen, dominanten Kurator bezeichnen?

Die Frage nach dem Kurator finde ich immer etwas schwerfällig. Ich würde mich nicht als dominant, sondern als zielorientiert beschreiben. Aber es geht ja nicht um mich, sondern um Kunst im Allgemeinen und den Kunstverein im Speziellen. Mit der Funktion eines Direktors sind repräsentative Aufgaben verbunden, aber um alle Ideen umzusetzen, braucht man ein gutes Team und einen starken Vorstand. Mein Verhältnis zu den Künstlern würde ich als partnerschaftlich beschreiben.