Jede Menge Schockeffekte

Heute startet das Fantasyfilmfest, das jeden Sommer das Adrenalin nach oben jagt. Diesmal mit dem Meta-Biopic „JCVD“, in dem Jean-Claude Van Damme zu alt ist, um den Take noch mal zu spielen

Keine Peinlichkeit aus der kurvenreichen Karriere des echten JCVD wird ausgelassen

VON DIETMAR KAMMERER

Wie jeden Sommer steht das Festival an, das für entschieden antisommerliche Gefühle im Publikum sorgen will: Das Fantasy Filmfest eröffnet heute Abend im Cinemaxx Potsdamer Platz und hat jede Menge Schockeffekte, Serienkiller und andere Spielarten filmischer Drastik im Gepäck.

In diesem Jahr ist allerdings ein Film darunter, der trotz seines Hauptdarstellers wundersamerweise (beinahe) ohne Kunstblut auskommt. „JCVD“ von Mabrouk El Mechri ist ein so seltsames wie tragikomisches Meta-Biopic, ein eigenwilliges Exemplar aus dem Subgenre Martial-Arthouse-Kino. Seine Ausgangsidee: Ein ausgebrannter Actionheld will sich in seinem Geburtsort von einer verlorenen Sorgerechtsklage erholen und stolpert dabei nichtsahnend in einen Banküberfall mit Geiselnahme. Die örtliche Polizei rückt an und belagert das Gebäude. Für die Beamten steht rasch fest: Der bankrotte Star versucht auf rabiate Weise, seine bekannten Geldsorgen zu lösen. Wie aber soll man einen „Universal Soldier“ dazu überreden, aufzugeben? Noch dazu, wenn Hunderte seiner Fans mit Plakaten die Straßen belagern?

Hauen, Stechen, Schießen. Alles, was Fans des belgischen Bizeps-Wunders Jean-Claude Van Damme von seinen Filmen erwarten, bekommen sie in den ersten fünf Minuten von „JCVD“ im Überfluss geliefert, wenn sich der Actionheld in einer einzigen, ungeschnittenen Einstellung durch eine Armada von Feinden prügelt, die hilflose Geisel befreit, die Schurken dezimiert, jede Menge Explosionen verursacht, um am Ende ausgerechnet an einer schlecht verschraubten Kulissentür zu scheitern, die bei Berührung krachend zu Boden geht.

Schnitt, alles noch mal von vorn, befiehlt der Regisseur gelangweilt, der auf einmal ins Bild kommt. Van Damme, verschwitzt und völlig außer Atem: „Noch einmal? Ich bin 47 Jahre alt! Ich kann das nicht mehr!“

Das ist gegen den Trend gesprochen. Bruce Willis war jenseits der fünfzig, als er zum vierten Mal in die Rolle des unkaputtbaren Polizisten John McClane schlüpfte, Sylvester Stallone hat mit über sechzig Jahren noch einmal den Rocky-Rambo-Doppelpack auf die Leinwand gestemmt. Allerdings haben die beiden ihre Filmkarriere auch nicht in der Knochenmühle der B-Pictures-Produktionen überstehen müssen.

Jean-Claude Van Damme, 1960 in der Nähe von Brüssel geboren als Jean-Claude Van Varenberg, ist Belgiens bekanntester Filmexport. Weil er, wie er später von sich sagen wird, ein schmächtiger und schüchterner Junge war, nimmt er als Teenager Karateunterricht. Mit sechzehn bestreitet er seinen ersten Wettkampf, mit zwanzig beendet er seine Turnier-Karriere nach siebzehn Siegen durch K.o. und nur einer Niederlage. Zur selben Zeit beginnt er mit Ballett-Training, entscheidet sich aber, trotz Angeboten, gegen eine Karriere als professioneller Tänzer. Aus der Kombination von Physis und Beweglichkeit entsteht sein Markenzeichen als Martial-Arts-Darsteller: der Spagat.

Den setzt er anfangs praktisch in jedem seiner Filme ein, erst in Nebenrollen als Bösewicht, dann als strahlender Retter von Witwen und Waisen, als Polizist, Soldat und als universeller Söldner unter Roland Emmerich. Mitte der Neunziger ist es Van Damme, der den Action-Regisseuren aus Hongkong die Tür in Hollywood öffnet: John Woo, Tsui Hark und Ringo Lam drehen ihre ersten im Westen produzierten Filme mit ihm. Dass Woo sich danach nie wieder bei ihm meldet, wird zum Anlass einer der zahlreichen Insider-Witze, die in der filmischen Konstruktion von „JVCD“ auf das wahre Leben des Action-Mimen anspielen. „Ohne dich würde Woo doch immer noch in Hongkong festsitzen und Tauben Regieanweisungen geben!“, frotzelt einer der echten Bankräuber, der sich naturgemäß als Hardcore-Fan erweist.

Mit vorgehaltener Pistole zwingen sie den Star, sich in den Verhandlungen mit der Polizei als Mastermind des in Wahrheit dilettantisch ausgeführten Überfalls auszugeben. Mit ihm, der sich vor der Filmkamera schon Dutzende Male aus kniffligeren Situationen herauswinden konnte, wird es schon klappen, so das Kalkül des tumben Trios. Und entgegen den Genre-Regeln, wonach ein gezielter Handkantenschlag des Helden den Tag rettet, hat der wahre Van Damme keine andere Wahl, als klein beizugeben.

„JCVD“ spielt geschickt mit dem öffentlich kolportierten Image des Stars – und das in ungewohnter Freimütigkeit. Keine Peinlichkeit, keine Niederlage und kein Tiefschlag aus der kurvenreichen Karriere des echten JCVD wird ausgelassen. Nicht die Drogenprobleme und die verpeilten Interviews, nicht die Niederlagen vor Gericht und nicht das Karrieretief.

Wie hier ein tragischer Videotheken-Star mit den selbstreflexiven Mitteln des Kunstkinos vor der Kamera gewissermaßen Therapie betreibt und sich neu erfindet, dürfte Filmstudenten noch auf Jahre beschäftigen.

Allerdings: El Mechri hat unglücklicherweise weder den anarchistischen Humor von Spike Jonze noch die verdrehten Gehirnwindungen von Charlie Kaufman, und so schlägt „JCVD“ aus seiner originellen Idee letztendlich weniger Funken, als möglich gewesen wäre. In dieser Hinsicht zumindest bleibt auch dieser Film ein typischer Van Damme.

Fantasyfilmfest, 12. bis 20. August, im Cinemaxx Potsdamer Platz und im Kino in der Kulturbauerei, Programm unter www.fantasyfilmfest.com. „JCVD“ läuft am Mittwoch, 13. August, 21.15 im Cinemaxx 7