Klatschbumm zum Zweiten

Fabian Hambüchen ist schon wieder vom Reck gerutscht. Kleiner Trost: Das ist Yang Wei in Athen vor vier Jahren auch passiert, nun hat der Chinese souverän Gold im Mehrkampf gewonnen

AUS PEKING ANDREAS RÜTTENAUER

Abgang vom Reck. Gestanden. Jetzt reckt er die Arme in die Höhe. In diesem Moment weiß Yang Wei, dass er Olympiasieger im Mehrkampf der Turner ist. Ein Aufschrei des Jubels geht durch die Halle. Doch es wird schnell wieder ruhig. Noch steht die letzte Note, die für die Reckübung, aus. Yang ist es zu ruhig. Er will sich feiern lassen. Er posiert wie ein Bodybuilder, verbeugt sich, fordert Applaus ein. Er ist der König der Turner. Endlich kommt das Ergebnis. 94,575 Punkte. Wieder geht ein Aufschrei durch die Halle. So gut hat selten ein Mann geturnt. Doch Yang scheint der Jubel nicht laut genug zu sein. Er will, dass eine ganz laute Messe auf ihn gesungen wird.

Während auf der Bodenmatte das Siegerpodest aufgebaut wird, schleicht Fabian Hambüchen auf die Journalisten zu, die direkt hinter dem Arenaausgang auf ihn warten. Er weiß, dass er Yang an diesem Tag nicht hätte schlagen können, auch wenn ihm all die Fehler nicht unterlaufen wären, die er gemacht hat. „Fantastisch“ nennt er die Leistung des neuen Olympiasiegers. Hambüchen wirkt anders als in den Tagen zuvor. Angeschlagen. Die Lockerheit, mit der er sein Umfeld seit Jahren schon verblüfft, sie scheint verflogen. Zu viel hat er vermasselt in Peking. Schon beim Teamfinale am Dienstag war er vom Reck gestürzt. Gerade ist ihm das wieder passiert. Wieder hatte er vor der letzten Übung alle Chancen auf eine Medaille. Hätte er die gleiche Punktzahl erreicht wie in der Qualifikation, er hätte Silber gewonnen. Wie es sich anfühlt, wenn man von Reck fällt, will jemand wissen. Hambüchen wird richtig patzig: „Wie soll sich das schon anfühlen. Klatschbumm und du liegst am Boden“, sagte er.

In der Arena werden derweil die Medaillengewinner aufgerufen. Hinter dem alle überstrahlenden Yang hat der Japaner Kohei Uchimura Silber gewonnen. Die Tränen der Freude in den Augen hat noch der Drittplatzierte Benoit Caranobe. Der Franzose war noch nie so gut platziert in seiner Karriere. Auch Uchimura, der seine Übung am Pauschenpferd wegen eines Fehlers unterbrechen musste, hat alles andere als einen perfekten Auftritt gezeigt. Zuverlässig, aber nicht überragend turnte Caranobe auf allen sechs Geräten. All das wusste Deutschlands kleiner Turnheros, als er zum Reck schritt. Es hätte klappen können. Der Fehler, den er am Gerät zuvor, dem Barren, gemacht hatte, er würde nichts ausmachen, wenn er die Übung am Reck durchturnen würde. Doch es machte klatschbumm. „Dumm gelaufen, dachte ich“, sagt Hambüchen hinterher. Nach seinem Abgang turnt er die ganze Übung noch einmal. Diesmal bekommt er die Stange nach dem Salto mit ganzer Drehung sicher in den Griff.

„Ich habe gehofft, dass das vielleicht doch noch reicht, aber das war natürlich utopisch.“ Vater Wolfgang steht neben seinem Sohn und lächelt. Er wirkt ratlos. „Nach der Reckübung habe ich Fabian gefragt, was schiefgelaufen ist. Doch er hat nur gesagt: ‚Nicht jetzt!‘“ Sein Sohn will noch etwas klarstellen. Sein verstauchter Finger, wegen dem er in der Früh Schmerzmittel genommen hatte, habe nichts mit seiner Leistung zu tun. Als schlechter Verlierer will er auf gar keinen Fall dastehen.

Der Olympiasieger sitzt mittlerweile auf dem Podium im Pressekonferenzraum neben Huang Yubin, seinem Trainer. Nein, wenn er sieht, dass vor ihm jemand vom Reck fällt, könne ihm das nichts anhaben, meint er. „Druck von außen verspüre ich nicht. Mein Druck kommt immer von innen.“ Doch, er sei nervös gewesen. Schon seit zwei Tagen. Er habe nicht richtig schlafen können vor dem Wettkampf, erzählt er. Vielleicht hat er an die letzten Olympischen Spiele gedacht. In Athen war er es, der, in Führung liegend, vom Reck stürzte. Danach wollte er aufhören. Er sah in sich einen Versager und suchte Abstand vom Turnen. „Ich war mir sicher, dass ich nie Gold gewinnen werde, dass auch spezielles Training nichts bringen würde.“ Er blickt hinüber zu seinem Trainer. Huang Yubin hat seinen besten Turner zum Weitermachen überredet. „Er hat mich weiter angetrieben und schließlich hat er mich auf den obersten Platz auf dem Siegerpodest katapultiert.“

Fabian Hambüchen ist da längst abgezogen. Er, der sonst so redselig ist, hat die Pressevertreter nach ein paar Sätzen stehenlassen. Seinen letzten sagt er ganz laut: „Schade, aber ich habe ja noch drei Chancen.“ Hambüchen hat den Glauben an eine Medaille nicht verloren. Er turnt noch in drei Gerätefinals: am Boden, am Barren und am Reck, seinem Schicksalsgerät. Er weiß: Entweder machte es klatschbumm oder es gibt Gold. So einfach ist das und doch so schwer.