: Stirn in Falten
Büchners St. Just als Terrorist mit Palästinensertuch, nervös verdrehte Pupillen: ein Besuch zum Semesterabschluss der privaten Filmschauspielschule Berlin
VON ANNE PETER
„Warst du beim Casting?“, ruft eine junge Frau einer anderen quer durch den Raum zu. „Nee, mich hat keiner angerufen… Wie war’s denn?“ „Ja lustig!“ Nein, im Theater sind wir hier nicht. Sondern in der im Westen gelegenen Filmschauspielschule Berlin, einer privaten Ausbildungsstätte für alle, die gern zum Film wollen. Oder zum Fernsehen.
Ironische Seufz-Arie
Geladen wurde zur Präsentation der „Highlights“ des vergangenen Semesters, bei der „junge Talente“ ihr Können in der Länge von Vorsprechrollen zeigen. Da zischeln und nagen Drittsemester als „Ratten“ über die Bühne, bei dem Ausschnitt aus Gerhard Hauptmanns gleichnamigem Stück. Kleists Sosias probt seinen Auftritt bei Alkmene, Martin Geuers Herr Müller wünscht in Widmers „Top Dogs“ seinem Chef den Gletscherabsturz, und Florian Veseli gibt den Büchner’schen St. Just als Terroristen mit Palästinensertuch.
Wir sehen das Selbstmörderplan-Pärchen aus „Norway Today“ sich anzicken und lassen uns vor allem Mirya Kalmuths Trunkenheittechnotanz zu Felicia Zellers „Bier für Frauen“ gefallen. Zwischendurch werden inbrünstig Elton John, Amy Winehouse oder „Liebeskummer lohnt sich nicht“ intoniert. Krzysztof Santa hingegen schrummelt die Brecht’sche „Erinnerung an Maria A.“ auf der Gitarre und macht einen Deep-Purple-Song ironisch zur Seufz-Arie.
Es sind Studenten aus allen Semestern, Anfänger wie Absolventen, die sich hier präsentieren können. Sie alle zahlen rund 440 Euro pro Monat, um ihren Traum zu verwirklichen. Dafür gehören sie zu den ca. 15 Kandidaten, die jährlich aus bis zu 120 Bewerbern ausgewählt werden. Weniger als an staatlichen Schauspielschulen freilich.
Zum ersten Mal fand in der vor drei Jahren gegründeten Schule, die nahe dem Ernst-Reuter-Platz gelegen ist, eine solche Semesterabschluss-Präsentation vor größerem Publikum statt – eine Situation, die für viele Studenten eher ungewohnt ist. Denn hier arbeitet man weniger (aber auch) darauf hin, später auf einer Theaterbühne vor einem Live-Publikum als vor der Kamera zu stehen. So scheinen einige leicht verunsichert von der Aug-in-Aug-Situation, anderen rutscht ein flüchtiges Lächeln angesichts erheiterter Zuschauer übers Gesicht.
Castinghimmel, selig
Diese besetzen in einem der Schul-„Studios“ sieben eng gestellte Stuhlreihen und sind wohlwollend gestimmt: Vor allem Kommilitonen, Freude und Verwandte haben sich eingefunden. Fast jeder der durch Blacks getrennten Kurzauftritte wird mit aufmunterndem Johlen bedacht.
Zu Beginn zieht einer sein Bein nach und beäugt das Publikum, erste Lacher. „Sie suchen doch bestimmt einen Komiker“, spricht es der linkisch zerzauste Vogel mit Dreitagebart an. Er wechselt von einem Fuß auf den anderen, nestelt an der Pulli-Unterkante herum und dreht die Pupillen nervös nach oben. Im zweiten Teil sehen wir den 26-jährigen Johann Fohl in mehreren Demobandszenen, die Absolventen zum Abschluss mit auf den Casting-Weg gegeben werden, auf der Leinwand. Er ist ganz Soap-gemäß dazu verdonnert, den kühlen Ehebrecher zu mimen, der seine Geliebte zur Abtreibung drängt.
Er ist einer derjenigen, die beides solide beherrschen: das hautnahe Kamera-Spiel und die Theater-Vergrößerung. Handelt es sich doch um zwei verschiedene Schauspiel-Umgehensweisen, von denen in der Filmschauspielschule ihrem Schwerpunkt gemäß das – vergröbert gesagt – psychologisch-realistische Verkörpern dominiert, was sich auch in den meisten Highlight-Szenen niederschlägt, in denen bisweilen etwas zu angestrengt die Stirn in Falten gelegt und der Mund weinerlich verzogen wird.
In der Pause wuseln Teilnehmer und Gäste auf engem Raum durch den fotobehängten Neubauflur, begrüßen und beglückwünschen einander überschwänglich, knabbern Salzstangen und nippen am Plastikbecher – kein glamouröses Sich-Herzeigen, sondern schulfamiliäres Unter-sich-Sein bei aufgedrehter Stimmung.
Unter ihnen Norbert Ghafouri, Gründer und Leiter der Schule, dessen Ansatzpunkt die pragmatische Orientierung an den spezifischen Herausforderungen ist, die die technischen Gegebenheiten am Set mit sich bringen. Darauf will er seine Schüler vorbereiten, indem er sie verstärkt unter Realbedingungen, also vor Kameras und Mikrofonen, proben lässt.
Beim Film, erläutert Ghafouri, müsse der Darsteller ohne Vorlauf in eine Szene hineinspringen und diese viele Male hintereinander spielen, dabei im Sichtfeld der Kamera bleiben und z. B. die Scheinwerfer für die Kollegen nicht verdecken – viele Dinge, die zu bedenken sind.
Andererseits betont er, dass die Spieler beim Filmen viel mehr in der Rolle „drin“ sein müssten. Er möchte bei seinen Eleven „etwas freilegen“ und wünscht sich, dass sie „berühren“. Im Theater sei es viel leichter zu lügen als vor einer nah ans Gesicht fahrenden Kamera. Kein Widerspruch zwischen dem Drumherum-Trubel und restloser Einfühlung? Für Ghafouri nicht. „Ein Schauspieler muss das ausblenden.“ Wer’s kann, hat gute Chancen, im Castinghimmel selig zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen