Blutiger Klassenkampf

Beim Baseball-Duell zwischen den USA und Kuba kommt es zum Eklat. Die Amerikaner verlieren mit 4:5 und unterstellen dem Erzrivalen, einen ihrer Spieler absichtlich niedergestreckt zu haben

„Kubaner respektieren das Spiel. Und wir sind unfähig, jemanden mit Absicht zu verletzen“

AUS PEKING RONNY BLASCHKE

Pedro Luis Lazo ist gebaut wie ein Aktenschrank. Er sitzt gelassen auf seinem Stuhl, seine mächtigen Arme hat er vor der Brust verschränkt. Er ist kein Angeber, er spricht leise, selbst in der Rolle des Verteidigers. „Normalerweise werfe ich nicht auf Menschen“, sagt er und schüttelt den Kopf. „Das gehört sich nicht für einen Pitcher.“ Der kubanische Baseballstar hatte mit einem seiner wuchtigen Würfe einen Eklat ausgelöst, unfreiwillig, wie er nun beteuert. Nicht in irgendeinem Spiel, nein, im wichtigsten Spiel überhaupt. Gegner waren die USA.

Lazos Ball hatte in der Verlängerung das Gesicht des amerikanischen Schlagmanns Jayson Nix getroffen. Nix lag benommen auf dem Boden, minutenlang, er blutete. Der olympische Wettbewerb, der vorerst letzte im Baseball, ist für ihn vorzeitig beendet. Davey Johnson, der Trainer der USA, unterstellte Lazo in der Pressekonferenz Absicht. Daraufhin unterstellte Antonio Pacheco, der Trainer Kubas, den Amerikanern fehlenden Respekt: „Kubaner respektieren das Spiel und jedes andere Team, wir sind unfähig, jemanden mit Absicht zu verletzen.“ Pedro Luis Lazo, der Gescholtene, nickte.

Manchmal sagen Pressekonferenzen mehr über die Rivalität zwischen zwei Mannschaften aus als das Spiel selbst. Die Kubaner hatten die USA in einer spannenden Partie 5:4 bezwungen, es war ihr dritter Sieg im dritten Spiel, schon jetzt zeichnet sich ihr vierter Olympiasieg ab. Ob es ein besonderer Sieg gewesen sei, wurde der kubanische Coach gefragt, und ob seine Spieler gut genug seien, um in der nordamerikanischen Profiliga MLB mitzuspielen? „Wir sind stolz. Die USA haben ein starkes Team“, sagte Antonio Pacheco zur ersten Frage. Die zweite ließ er unbeantwortet, er hätte sonst großen Ärger bekommen.

Kuba schaffte es wieder einmal, den alten Klassenfeind zu ärgern. Pedro Luis Lazo, dem muskelbepackten Hünen, ist das schon oft gelungen. Er würde das nie vor einer Kamera bestätigen, aber so ist es. Pedro Luis Lazo, 35, stammt aus Pinar del Río, im Westen Kubas gelegen. Seit Jahr und Tag spielt er in seiner Heimat für einen kleinen Verein in einer kleinen Liga. Den Profisport, orientiert an Renditen, hatte das langjährige Staatsoberhaupt Fidel Castro verboten.

Pedro Luis Lazo härteste Würfe können 150 Stundenkilometer erreichen, in den USA, in der MLB, wäre er längst Multimillionär. So wie José Contreras. Auch er stammt aus Pinar del Río. Lazo und Contreras waren gute Freunde, bis Contreras 2002 bei einem Spiel in Mexiko die Flucht ergriff. Auch für ihn galt das Gesetz: Kubaner, die es bis in die USA schaffen, dürfen bleiben und nach einem Jahr einen Wohnsitz beantragen. José Contreras erhielt einen Vertrag bei den New York Yankees, dem reichsten Sportverein der Welt. Dort war fünf Jahre zuvor auch Orlando Hernández gelandet, der berühmteste kubanische Baseballspieler. Pedro Luis Lazo dagegen blieb – sein Patriotismus ist nicht die Regel.

Fidel Castro hat seine Sportler jahrzehntelang als „Botschafter der Revolution“ gepriesen. Ähnlich wie die Machthaber der DDR hoffte auch Kubas Oberhaupt, dass gestählte Athleten die Ideen des Sozialismus in die Welt tragen würden. Rund elf Millionen Einwohner leben auf Kuba. Daran gemessen konnte das Land ungewöhnlich viele olympische Medaillen gewinnen: bislang 170. Castro mag es gar nicht, Spiele zu verlieren, aber er mag es noch weniger, Spieler zu verlieren. Die Zahl der Sportflüchtlinge ist seit den Neunzigern auf ein beachtliches Maß gewachsen.

Rund fünfzig Baseballer sind in die amerikanischen Ligen gegangen, Volleyballer nach Italien. Von fünf kubanischen Box-Olympiasiegern 2004 kehrten vier ihrer Heimat den Rücken. Einer, Guillermo Rigondeaux, kehrte reumütig nach Havanna zurück. Er wurde gesperrt. Auf Lebenszeit.

Die Regierung hat kein Mittel dagegen gefunden. Vor jedem internationalen Wettkampf werden die kubanischen Athleten vor den „Gefahren des Kapitalismus“ gewarnt. Auf den Sportanlagen und in den Hotels werden sie gut gehütet. Castro will nicht noch mehr Söhne verlieren, wie er es stets formuliert hat. Dabei war auch er mal ein talentierter Baseballspieler. Die Washington Senators, so lautet die Legende, hatten ihn Mitte der Vierzigerjahre beobachtet. Castro war ihnen aber nicht gut genug.