KOMMENTAR DES TAGES
: Von den Ahnen gelernt

Das Experiment hat funktioniert: Nach endlosen Versuchen haben es Trainingswissenschaftler und Sportartikelhersteller und wer weiß noch wer geschafft, den Menschen zum Amphibienwesen umzumodeln.

Im Pekinger Water Cube hat sich diese neue Spezies der Humanoiden vorgestellt. Wo sonst Hände sind, haben sie Paddel. Wo andere mit den Tücken des nassen Elements kämpfen, schwingen sie ihre Haxen delfinesk. Wo der Rest nach Luft ringt, schnallen sie sich einen Bleigürtel um und sind immer noch fast so schnell wie die Besten. Ein Flut von Weltrekorden schwappte über die Beobachter. Ein wahrer Sturzbach ging auf sie nieder. Jeder Anschlag war ein Anschlag auf den guten Geschmack der Sportkonsumenten.

Was würde wohl passieren, wenn in der Leichtathletik ein sattes Dutzend Weltrekorde aufgestellt würde? Der Vergleich hinkt, könnte man jetzt entgegnen, weil die Evolution der Schwimmleistungen im Gegensatz zum Treiben auf Tartan noch nicht beendet ist. Mag ja sein, aber wie kommt es, dass sich die Schwimmer, zuerst der US-Amerikaner Michael Phelps, so schnell erholen zwischen den Rennen? Werden sie denn nie müde? Verlieren sie nie Substanz? Nein, sie sind immer frisch, quicklebendig wie Flipper. Echte Sporthelden können so etwas. Saubere Leistung!

Glaubt man den Auguren, dann wird es weitergehen mit den Rekorden. Sicherlich wohnt in den Tiefen der Ozeane noch ein Fisch, dessen Haut von Speedo, Adidas oder Arena kopiert werden will, dessen Bewegungen so nachahmenswert sind, dass wieder eine neue Schwimmspezies im Chlorbecken geboren wird. Der Mensch kommt aus dem Meer. Dessen haben sich die Humanoiden des Water Cube ja nur erinnert: Die Spitzenschwimmer haben sich der Ahnen besonnen. Sie schwelgten im ozeanischen Gefühl und sollten unser aller Vorbild sein. Wir haben längst den Bezug zu unseren nassen Vorfahren verloren. Wir laufen auf zwei Beinen. Eine Rückkehr ins Wasser erscheint uns nicht erstrebenswert.

Von Michael Phelps lernen heißt deswegen siegen lernen. Der Prototyp der neuen Spezies hatte bis gestern sechs Medaillen gewonnen. Es können noch acht werden. Nur acht. Wir hätten uns mehr erwartet. Selbst die Humanoiden sind noch entwicklungsfähig. Da ist noch viel mehr drin. Die nächste Generation sollte mit Schwimmhäuten und Kiemen zur Welt kommen. Das wäre das Mindeste. Die Freakshow hat ihre besten Vorstellungen noch nicht gesehen. Auf bald, in London 2012. MARKUS VÖLKER