„Ein bisschen ruhiger“

Ein Gespräch mit der „Pro Meile“-Streetworkerin Isabell Stewen über Hooligans in der Bahnhofsvorstadt, Alkoholmissbrauch unter Jugendlichen und die Discomeile als „waffenfreie Zone“

ISABELL STEWEN, 30, arbeitet seit 2006 als hauptamtliche Pädagogin beim Verein zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit.

Interview: Jan Zier

taz: Gerade hat Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) die waffenfreie Discomeile gefordert. Das gibt es sonst nur auf der Reeperbahn in Hamburg...

Isabell Stewen: Generell ist eine waffenfreie Zone natürlich zu begrüßen. Aber was passiert mit den jungen Mädchen, die ein CS-Gas dabeihaben? Das müssten sie natürlich abgeben. Die Frage ist, ob das zu verantworten wäre. Möglicherweise müsste es dafür eine gesonderte Regelung geben.

Die Frage ist: warum braucht es auf der Discomeile überhaupt so viel Beistand von Polizei und Sozialarbeitern – wo es doch nur ums Feiern geht?

Ich erinnere mich, dass es auch früher häufiger Massenschlägereien bei großen Partys gab. Das war vor 15 Jahren auch schon nicht ganz ohne. Und mit den jugendlichen Gästen haben die Probleme auf der Discomeile meist wenig zu tun, sie bewegen sich nur einfach auch in diesem Milieu. Aber viele Jugendliche fühlen sich dort nach der Eskalation mit der Schießerei 2006 sehr unsicher – deshalb wurde unser Projekt “Pro Meile“ ins Leben gerufen ....

... bei dem Sie jede Freitag und jede Samstag Nacht mit vier bis sechs haupt- oder ehrenamtlich tätigen Streetworkern auf der Meile präsent sind.

Unsere Rolle ist eher passiv, wir sprechen von uns aus selten Jugendliche an. Sie können uns aber ansprechen. Wir wollen nicht erziehen. Wir arbeiten auch nur auf der Straße, gehen nicht in die Discos rein. Sonst würden wir womöglich als langer Arm der Polizei wahrgenommen werden. Wir gehen auch nicht mehr in offene Prügeleien rein, wir sind dazu da, deeskalierend zu wirken. Und wir handeln immer nur im Auftrag des Jugendlichen, nicht im Auftrag der Polizei oder der Discobetreiber.

Letztere finanzieren aber zu einem Drittel ihr Projekt. Führt das nicht zu Konflikten?

Wir haben eher das Gefühl, dass das ein ganz guter Draht ist, die Discobetreiber mit in die Verantwortung zu nehmen. Dieser Dialog ist bisher auch ganz gut gelaufen. Wir lassen uns nicht kaufen, weder von der einen noch von anderen Seite. Und der Dialog mit der Polizei ist zwar mal mehr, mal weniger gut, aber die Akzeptanz uns gegenüber ist gestiegen.

Was hat sich in den gut zwei Jahren getan, in denen sie – mit Unterbrechungen – als Streetworker auf der Meile präsent sind?

Wir haben das Gefühl, dass die Jugendlichen es als sehr wichtig erachten, dass wir da sind. Wir erreichen fast 60 Jugendliche in einer Nacht, das ist relativ viel. Unserer Beobachtung nach sind die Jugendlichen ein bisschen ruhiger geworden. Sie wissen, da ist jemand da, der sie begleitet und auch ein Stück weit beobachtet.

Hat sich das Publikum geändert?

Es ist natürlich immer ein Partypublikum verschiedener Jugendkulturen. Aber der Durchschnitt ist heute ein wenig älter als vor zwei Jahren. Und es wird etwas genauer und strenger kontrolliert, ob die Leute alt genug sind.

Das trifft auch AusländerInnen und Menschen mit Migrationshintergrund: Es sind immer wieder Klagen über rassistische Türsteher zu hören.

Wenn wir von solchen Fällen von Jugendlichen hören, können wir dies an zuständige Behörden und Stellen vermitteln oder den Jugendlichen ermutigen, sich an diese Stellen zu wenden.

Und wie steht es mit dem Rassismus unter den Jugendlichen?

Wir hören von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, dass sie sagen: „Scheiß Deutsche“, genauso wie es umgekehrt Äußerungen wie „Scheiß Kanake“ gibt. Das hält sich ganz gut die Waage.

Was tragen die Jugendlichen an sie heran?

Die Meile ist im Grunde ein großes Jugendhaus. Dementsprechend fängt das bei Liebeskummer an – was man nicht unterschätzen sollte, weil das definitiv ein Eskalationsgrund sein kann. Aber es geht auch um persönliche Probleme, wenn Jugendliche gerade eine Sechs in Mathe geschrieben haben, Stress mit den Eltern haben oder gerade von der Freundin verlassen wurden. Das alles kann Aggressionspotenzial bergen. Jugendliche reagieren da häufig mit Frust-Saufen. Alkoholmissbrauch ist etwas, womit wir öfter konfrontiert werden. Es wird tendenziell von Generation zu Generation mehr getrunken. Ich habe eher das Gefühl, dass die jetzige Generation immer weniger den Umgang mit dem „Genussmittel“ Alkohol gelernt hat.

Und dann ist da noch das „Bells“, das in erster Linie eine Hooligan- Kneipe ist.

Vor der Türe des „Bells“ gibt es auch schon mal massives Gerangel. Natürlich gibt es da auch manchmal Provokationen gegenüber unseren Streetworkern oder Jugendlichen – aber es kommt auch vor, dass die sich bei uns „ausheulen“. Manchmal beobachten wir Übergriffe und verständigen dann umgehend die Polizei. Ich würde aber nicht von einer rechten Hegemonie auf der Meile sprechen.