KOMMENTAR DES TAGES
: Gold im Wegschauen

Halbzeit in Peking, nur noch eine Woche, dann ist alles vorbei. Zugegeben: Für die sportliche Organisation der Wettkämpfe verdienen die Gastgeber viel Lob. Athleten und Funktionäre sind zufrieden mit dem reibungslosen Ablauf, sie preisen das Olympiadorf, die vielen freundlichen Helfer und die unkomplizierten Sicherheitskontrollen auf dem Olympiagelände. Die chinesischen Zuschauer sind nicht wie gefürchtet nationalistisch, sondern ausgesprochen fair.

Allerdings: Der olympische Funke ist noch nicht auf die Hauptstadt übergesprungen. Die Pekinger halten vorsichtig Distanz, von einer fröhlichen Party kann keine Rede sein. Viele empfinden das Sportfestival als Veranstaltung von „denen da oben“. Das liegt daran, dass die Stadien streng abgeschottet sind und die Sicherheitsbehörden keine allgemeinen Treffpunkte wünschen, wo sich Sportler, Fans, Einheimische und Touristen unbeschwert vergnügen können.

Wie erwartet zelebrieren Pekings Politiker und Medien das Sportfest als große Gala, angefangen bei der gewaltigen Eröffnungsfeier. Olympia ist zur Bühne eines neuen chinesischen Selbstbewusstseins geworden. Sie werten die Flut der Goldmedaillen für die chinesischen Sportler als Beweis der Stärke einer wiedergeborenen Nation. Proteste gegen die Behördenwillkür, gegen die Unterdrückung der Tibeter, gegen Waffenverkäufe Chinas an den Sudan, oder gegen Kumpanei Pekinger Politiker mit den Generälen in Birma sind bis auf ein paar Ausnahmen ausgeblieben. Keine Sportler, keine Zuschauer enthüllten in den Stadien kritische Parolen. Und wenn internationale Aktivisten es doch wagten, für mehr Religionsfreiheit oder gegen Zwangsabtreibungen zu demonstrieren, schoben die Behörden sie schnell ab. Und trotz erhöhter internationaler Aufmerksamkeit scheuen sich Chinas Politiker immer noch nicht, ihre eigenen Bürger, wo es ihnen passt, mundtot zu machen.

Auch von freier Berichterstattung für ausländische Journalisten konnte in der ersten Woche der Spiele keine Rede sein. Reporter landeten auf Polizeirevieren und wurden an ihrer Arbeit gehindert. Der Druck auf die einheimischen Journalisten ist sogar noch stärker.

Das IOC mit seinem Präsidenten Jacques Rogge an der Spitze übt sich derweil im Schönreden der Verhältnisse in China, eine medaillenreife Leistung im Wegschauen und Entschuldigen. Der Pakt zwischen zwei undemokratischen Organisationen funktioniert. Kurzum: Pekings Führung hat bislang erreicht, was sie wollte.      JUTTA LIETSCH