Der graue Pfahl im Herzen der Stadt

Es gehört zu den markantesten Bauten im Hamburger Stadtbild. Jetzt soll das Radisson Hotel eine neue Fassade bekommen und lichter, heller, eleganter werden. Damit droht ein architektonisches Zeugnis der 1970er Jahre zu verschwinden – und die haben es sogar bei Denkmalschützern schwer

Die geplante Neugestaltung droht eine banale These aufzustellen: Eleganz habe leicht und heiter daherzukommen

VON MAXIMILIAN PROBST

Der Zeitgeschmack hat wie immer ein Urteil rasch zur Hand: Die Architektur der 70er Jahre? Hässlich, die reinste Geschmacksverirrung, in Beton gegossene Geschmacklosigkeit, Verschandelung. Landauf, landab werden die Bauten, Zweckbauten, wie man sie gerne nennt, dieser Jahre gerade abgerissen und ersetzt durch, seien wir ehrlich: neue Zweckbauten, jetzt aber aus Glas statt Beton.

Eins der wenigen Gebäude aus dieser Periode, das nicht per se als Bausünde gescholten, das, wenn nicht geliebt, so immerhin geduldet wird, ist das markante Hochhaus des Radisson-Hotels am Bahnhof Dammtor in Hamburg. Aber auch hier: Was gemeinhin an dem Haus gefällt, ist die Präzision und Eleganz des Designs: die unterschiedlich hohen und räumlich versetzt aneinander geklebten Scheiben; ein Design, das zurückweist auf das bekannte Düsseldorfer Scheibenhaus von Helmut Hentrich aus den späten 50er Jahren.

Weniger gnädig wird da schon die zeittypische Hülle dieser Form beurteilt und entsprechend groß war in der heimischen Presse die Begeisterung, mit der man Pläne zur Umgestaltung der Fassade aufnahm: Der Nagelfluh, eine Art Naturbeton, soll hellem Granit weichen, braun getöntes Fensterglas durch farbloses ersetzt werden. Die Hamburger Lokal-Bild ergänzte ihren Artikel durch eine Fotomontage, die das Hotel ganz in Weiß zeigt – „edler und noch schlanker“ hieß es dazu, als priese man gerade Apples neuestes Notebook an.

Dabei ist es doch die heikle Balance zwischen dem wuchtig-massiven Gestein und der Schnittigkeit des Designs, zwischen der Schwerelosigkeit dieser zumal aus der Ferne hauchdünn erscheinenden Scheiben und der Undurchdringlichkeit der getönten Fenster und den bronzefarbenen Brüstungen, die das Bauwerk so faszinierend macht: Ein Gleichgewicht, das sich auch als Oszillieren zwischen den späten 50er und frühen 70er Jahre lesen lässt, als Pendelschlag zwischen Fortschrittsoptimismus und Skeptizismus.

Das fängt mit der Lage an: Als Solitär steht es am Rand des Parks „Planten un Blomen“ und bietet aus allen Zimmern einen Blick auf die nahe Alster. Ausgerechnet das Radisson-Hochhaus verkörpert damit perfekt das in den 20er Jahren entwickelte deutsche Hochhauskonzept. Denn anders als im Kernland der Skyscraper, den USA, sollte hierzulande jeder Turmbau für sich stehen können, an Orten mit weitem Sichtfeld, um Schluchten und Verschattung zu vermeiden. Mehr aber noch ruht der Optimismus in der Formvollendung des Gebäudes: Sie mutet wie ein Versprechen an, dass sich auch die Zukunft gestalten, ja vielleicht einmal nach den klaren Prinzipien der taghellen Vernunft vollenden lässt.

Der Skeptizismus hingegen ist in das Dunkel-Undurchsichtige, in die brüske Wehrhaftigkeit des Gebäudes eingezogen, das 1973 fertig gestellt wurde – ein Jahr nach dem Anschlag der RAF auf das nah gelegene Springer-Hochhaus und pünktlich zur Ölkrise. Wie sich der Horizont der Zeit damals verdunkelte, lässt sich bis heute am Hotelbau, an dieser grau in den Himmel ragenden Stele ablesen. Zugleich aber hält sie die Hoffnungen am Leben, die, paradox formuliert, unter ihr begraben liegen.

Die von der Hotelleitung geplante Neugestaltung droht nun, diese komplexe, ästhetisch gelungene und zeitgeschichtlich aufschlussreiche disjunktive Synthese zu zertrümmern. Und statt ihrer eine banale These aufzustellen: dass Eleganz leicht und heiter daherzukommen habe. Verständlich eigentlich, schließlich beherbergt der Bau ein Hotel, das bei seiner Größe ein entsprechend großes Publikum ansprechen muss. Die Innenräume, Zimmer, Bars, Restaurant und Empfangshalle werden nun komplett umgebaut, um das Hotel um eine Kategorie zu verbessern, wie die Leitung verlauten ließ. Was läge da näher – und wer wüsste heute nicht um den Wert der Verpackung, als den neuen Glanz auch gleich nach außen zu tragen?

So selbstverständlich dieses Anliegen der Unternehmenslogik nach sein mag, so legitim wäre es nach der Logik des Denkmalschutzes, den Hotelbetreibern tüchtig auf die Finger zu klopfen und auf den Erhalt der äußeren Gestalt des Turms der Hamburger Architekten Jost Schramm und Gerd Pempelfort zu pochen.

Ob und wie das Denkmalschutzamt tätig wird, ist allerdings offen: Der Architekt Horst von Bassewitz, der in den 70er Jahren in das Büro von Schramm und Pempelfort eintrat, sagt, man tue sich auch im Denkmalschutz schwer mit diesen Jahren. So wurde vor zwei Jahren gerade erst der von Bassewitz 1971 gebaute „Astra-Turm“ auf dem Gelände der ehemaligen Bavaria-Brauerei abgerissen. Mit seiner Biertulpenform alles andere als ein reiner Zweckbau, hätte der Bau inmitten des gentrifizierten St. Pauli ein Stück Geschichte bedeuten können, ein Stück Identifikation.

Unter Denkmalschutz steht in Hamburg derzeit nur ein einziges Gebäude aus den 70er Jahren: ein weithin unbekanntes Wohnhaus mit Atelier des Architekten und Bildhauers Thomas Darboven in den Elbvororten. Und an einer Hand abzählen lassen sich im Bezirk Mitte, also im Herzen der Stadt, jene Gebäude, die immerhin als „denkmalwürdig“ geführt werden. Das heißt, dass alle Baumaßnahmen an solchen Häusern beim Denkmalschutzamt angezeigt werden müssen.

Das Radisson-Hotel gehört zu diesen wenigen als denkmalwürdig anerkannten Bauten aus den 70er Jahren. Der Leiter des Hamburger Denkmalschutzamtes, Frank Pieter Hesse, bestätigte, dass man zurzeit mit den Hotelbetreibern in Verhandlung stehe: Nun lässt sich das Amt von den Hotelbetreibern eine Musterfassade vorlegen, um die Änderungspläne besser bewerten zu können.

Ob der Denkmalschutz den Wert des betonfarbenen Steins und der dunklen Verglasung, Einfassungen und Brüstungen erkennt? Und um ihren Erhalt willen, das Gebäude spornstreichs unter Denkmalschutz stellt? Es wäre das richtige Symbol zur richtigen Zeit: Ähnlich wie vor kurzem der kleinen Saal der Hamburger Laeiszhalle aus den 50er Jahren unter Schutz gestellt und damit die von vielen favorisierte Rekonstruktion des Stands von 1908 durchkreuzt wurde, so könnte nun die Architektur der 70er Jahre gegen ihre Verächter verteidigt werden. Hamburgs Denkmalschützer könnten sie mit einem Federstrich adeln und damit anerkennen: Nicht alles jener Jahre ist Schund. Schaut hin!