Kleine Blumenfrau kämpft gegen Bahn

Mit hoher Pacht treibt die Bahn eine Blumenhändlerin in den Ruin. Heute Entscheid über Zwangsversteigerung

Der kleine Blumenladen am S-Bahnhof Karlshorst ist seit Jahren geschlossen. Die Besitzerin Marina Godehardt darf den Laden, den sie 1987 von ihren Eltern geerbt hat, nicht mehr betreten. Heute entscheidet das Amtsgericht Hohenschönhausen, ob sie auch ihr Wohnhaus um die Ecke räumen muss. Das Drama hängt damit zusammen, dass Godehardt zwar das Geschäft geerbt hat – nicht aber den Boden darunter. Dieser war zu DDR-Zeiten volkseigene Fläche, musste also vom Staat gepachtet werden.

Nach der Wende ging der Boden in den Besitz der Reichsbahn über, aus der wurde die Deutsche Bahn. Die setzte eine Erhöhung der Pacht von jährlich 106,80 auf 24.624 DM durch, drohte mit Kündigung. Godehardt unterschrieb. „Was hätte ich denn sonst auch tun sollen?“ Besonders pikant an dieser Erhöhung um das 230fache ist, dass die Berechnungsgrundlage falsch ist, wie ein Gutachten in Godehardts Auftrag nachwies. Denn die Bahn berechnete ab 1996 Kosten für „Geschäftsräume und Flächen“, obwohl die Geschäftsräume Godehardt gehören.

Die Folgen der Preisexplosion waren abzusehen: Die Blumenladenfrau häufte einen Schuldenberg an, der sich 2001 auf knapp 87.000 Euro beziffert. Nun kündigte die Bahn die Verträge, ließ den Blumenladen zwangsräumen und versuchte, das geerbte Wohnhaus ein paar Straßen weiter zwangsversteigern zu lassen. Godehardt wehrte sich vor Gericht. Im Läufe des Verfahrens wurde ein Gutachten erstellt, das die Berechnung des neuen Pachtpreises für nicht rechtens erklärte. Weil es zu spät eingereicht wurde, blieb es vom Gericht unbeachtet. Außerhalb des Gerichts gelang es Godehardt, die Deutsche Bahn zu einer einvernehmlichen Einigung zu bewegen: Für 30.000 Euro hätte sie ihr Wohnhaus behalten können. Doch kurz vor Abschluss blockierten die Anwälte der Bahn, erzählt Godehardts Anwalt.

Im Jahr 2005 entschied das Kammergericht schließlich gegen Godehardt: Die hohe Pacht wurde für rechtens erklärt. Im Januar 2008 urteilte derselbe Richter in der nächsten Instanz erneut gegen sie. Ohne Geld oder Hoffnung ließ Marina Godehardt das Urteil rechtskräftig werden – und die DB per Gerichtsbeschluss das Wohnhaus, in dem Godehardt noch wohnt, zwangsversteigern. Auf das Angebot einer Genossenschaft, das Gebäude für 68.000 Euro zu kaufen und sozialverträglich an sie weiterzuvermieten, wurde nicht reagiert. Bei der Zwangsversteigerung am 30. April 2008 erklärte der Anwalt der DB, ab 50.000 Euro sei man zu Verhandlungen bereit. Auf Nachfrage wollte er sich allerdings zum Angebot der Genossenschaft nicht äußern. Auch Bahn-Pressesprecher Burkhard Ahlert mochte die Vorwürfe nicht kommentieren.

Heute wird das Amtsgericht Hohenschönhausen entscheiden, wer das zwangsversteigerte Haus bekommt. Das einzige Gebot bisher beträgt 70.000 Euro. Godehardts Anwalt hat die Einstellung des Verfahrens beantragt, da die Blumenfrau suizidgefährdet ist. MAX VERONIUS