die angst vor dem untier
: Neulich nachts im Schrebergarten

Tiergeschichten – das lesen die meisten gern. Vorausgesetzt natürlich, die Kreaturen, um die es geht, haben eine überschaubare Größe, nicht zu viele Beine, keine Giftdrüsen und können nicht stechen. Harmlose Viecher sollen es sein, domestiziert am besten und die Holzverkleidung der Wand dürfen sie auch nicht annagen. Geschichte von solchen Tieren sind begehrt, weil diese Geschöpfe so dankbar sind, so putzig, so allerliebst. Weil sie so menschlich sind. Weil klar ist, in einer Tiergeschichte dieser Klasse ist das Tier der Held und der Mensch der Versager? Wie ich neulich Nacht.

Man muss dazu sagen, dass sich das Tiererlebnis, um das es nun geht, im Schrebergarten abspielt. Dem Schrebergarten meiner Freundin. Jenem, der direkt in der Einflugschneise von Tegel liegt, und der – hat man so einen Schrebergarten erst lange genug – einen so abstumpfen lässt, dass man sich, das zumindest sagen alle, an den Fluglärm gewöhnt. Gespräche werden halt unterbrochen, wenn eine Maschine über dem Kopf startet. Man hat eine Denkpause. Ob der angefangene Satz beendet wird, wenn der Flieger endlich außer Hörweite ist, steht auf einem anderen Stern. Klar ist, Krach sollte mich eigentlich nicht schrecken. Und die Tiergeschichte, um die es hier geht, die hat mit Radau zu tun.

Es ist nachts, kurz vor der Geisterstunde. Wir stehen bereits vor dem Garten und wollen nach Hause, denn in der Laube kann kein Mensch schlafen. Das Nachtflugverbot ist nur Makulatur. Da fällt mir ein: Ich habe die Brille vergessen. An Orten, die man ungern verlässt, weil sie so schön sind, die man aber verlassen muss, weil höhere Mächte einem das Schöne verleiden, vergisst man gern etwas. Brillen, Mobiltelefone, Geldbörsen – alles, was man für die Zivilisation eben so braucht. Auf dem schmalen Gartenweg zur Hütte passiert es: ein Zischen, ein Raunen, ein Pfeifen, ein Rascheln, drohend, gefährlich und laut – so laut in der Dunkelheit, dass mir bang wird. Wie eingefroren stehe ich auf halber Strecke und stelle mir in der Dunkelheit das Monster vor, das den Weg versperrt. Mindestens so groß wie ich muss es sein, in tollwütiges Katzenfauchen verfallen, mit Krokodilskrallen und dem aufgesperrten Maul einer tasmanischen Teufelin, die Eselsohren gespitzt, den Schwanz gestellt, mit sprungbereiten Beinmuskeln wie denen eines Ochsenfrosches – kein Tier, ein Untier.

Immerhin, in meiner Starre schaffe ich es, nach meiner Freundin zu rufen. Sie ist Tierexpertin, zumindest behauptet sie das.

Gemeinsam nehmen wir allen Mut zusammen, holen nicht nur die Brille, sondern auch die Taschenlampe aus der Laube und pirschen uns – unsere Haltung ist geduckt – an das fauchende Monster heran. Mit meiner Freundin neben mir kommt mir das Tier plötzlich geschrumpft vor. Auf jeden Fall leuchte ich unter die Büsche und nicht über sie und, siehe da, der drohgebärdengeschwängerte Radau verstummt.

Kaum ist es leise, beginnen unsere Augen zu leuchten. Denn zwischen Dahlien, Topinambur, Herbstastern und Schwarzen Johannisbeeren stehen zwei Igel und starren geblendet ins Licht.

Igel beim Liebesspiel haben nicht nur Angst und Schrecken, sondern schon Polizeieinsätze ausgelöst. Die zwei hier lieferten sich aber nur eine Abwehrschlacht. Ihre Stacheln sind hochgestellt. WALTRAUD SCHWAB