Echte Olympiasieger zum Anfassen

Im Deutschen Haus präsentieren die deutschen Sportfunktionäre ihre Helden – allerdings vor allem der Wirtschaft

Das Deutsche Haus soll den Athleten als „Oase der Ruhe“ dienen, sagt Michael Vesper. Den Athleten ist es freilich meistens zu ruhig

PEKING taz ■ Olympische Spiele sind nicht nur Sport, sondern auch Messe. Eine Verkaufsveranstaltung der gigantischen Art. Nirgendwo anders können Sportstars eine größere Öffentlichkeit schaffen als hier, wo allein 5.600 akkreditierte Printjournalisten im riesigen Pressezentrum texten. Eine Möglichkeit, die viele Größen der Sportszene nutzten. Die Tennisprofis Rafael Nadal und Roger Federer etwa. Oder Michael Phelps, der erfolgreichste Schwimmer dieses Planeten. Oder die amerikanischen Leichtathleten. Sogar das US-Softballteam stellte sich den Fragen der internationalen Presse. Nur die deutschen Sportler, die kamen nicht.

Sie blieben in ihrem stillen Kämmerlein namens „Deutsches Haus“. So nennt sich der Ort, der dieser Tage als Außenstelle des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) fungiert. Gastgeber ist die Deutsche Sport-Marketing (DSM), eine DOSB-Tochter, sie hat rund 2.000 Quadratmeter des noblen Hotels Kempinski für die Zeit der Spiele angemietet. Die deutschen Stars, allen voran Dirk Nowitzki, Timo Boll und Britta Heidemann, wurden in diesem Deutschen Haus vorgestellt – und dadurch vor der internationalen Presse förmlich versteckt. Das Urteil über diese DOSB-Medienpolitik unter den erfahrenen Kollegen fällt daher vernichtend aus. „Sehr traurig“, findet das Wolfgang Uhrig, Chefredakteur des Verbandsorgans Sportjournalist. „Man hat es versäumt, diese Weltstars der Öffentlichkeit vorzustellen.“ Diese Sportler hätten man „unbedingt hier präsentieren müssen“. „Andere Nationen halten Pressekonferenzen ab, nur die Deutschen nicht“, kritisiert auch Hartmut Scherzer, der als freier Journalist seine 18. Olympischen Spiele erlebt, diese Haltung als arrogant und beschränkt. Es sei ein verheerendes Bild, das der deutsche Sport in dieser Hinsicht abgibt.

DOSB-Pressesprecher Gerd Graus hält dem entgegen, das internationale Interesse habe sich „original auf Herrn Nowitzki“ beschränkt. Und dessen Terminplan habe keine weitere Pressekonferenz erlaubt als jene, in der DOSB-Generaldirektor Michael Vesper „Gerd Nowitzki“ als Fahnenträger der deutschen Mannschaft vorstellte. Dem großen Interesse der chinesischen Medien an Heidemann und Boll sei man nachgekommen. Und bei der Schwimmerin Britta Steffen waren andere schuld: Das hätten die Termine verhindert, „die auch durch ihr Management abgestimmt wurden“. Überhaupt, für die übertragenden Sender ARD und ZDF, die sich im Hotel Kempinski Studios eingerichtet haben, sei doch alles ganz super und „im Interesse aller deutschen TV-Zuschauer“.

Graus muss so etwas antworten, er ist der Leiter der DOSB-Öffentlichkeitsarbeit, er wird dafür bezahlt, die Dinge weich zu zeichnen. Freilich war die teils katastrophale Resonanz der Pressekonferenzen, die stets um 11 Uhr Ortszeit abgehalten werden, offenkundig. Manchmal kamen nur drei oder vier Zeitungsjournalisten. Weil das Deutsche Haus, das es seit 1988 gibt, „so weit entfernt vom Geschehen ist wie noch nie“ (Scherzer). Die Fahrt dorthin nimmt schlichtweg zu viel Zeit in Anspruch. Auch einige Athleten maulten aus diesem Grund.

Allerdings ist der abgelegene Standort nach Lage der Dinge sogar beabsichtigt. Denn der DOSB zieht es offenbar vor, seine Athleten statt der Öffentlichkeit lieber seinen zahlungskräftigen Sponsoren präsentieren. „An diesem Ort kommen sich Sport und Wirtschaft so nah wie selten, hier ist die Faszination der Olympischen Spiele und seiner Athleten direkt erlebbar“, hat DSM-Geschäftsführer Axel Achten in der DSM-Postille versprochen. Und nun gilt es, dieses Versprechen gegenüber den 50 Firmen zu halten, welche das rund 3,5 Millionen Euro teure Deutsche Haus finanzieren. Sie sollen erfahren, welch großartige Sportler Deutschland hat. Sie zahlen schließlich einen hohen Kurs dafür, mal eine echte Olympiasiegerin wie Heidemann anfassen zu dürfen. Oder wenigstens in Ruhe um ein Foto zu bitten. Da stören zu viele Medienvertreter.

Gleichzeitig soll das Deutsche Haus den Athleten als „Oase der Ruhe“ dienen, das sagt Vesper. Den Athleten ist es freilich meistens zu ruhig. Und manchmal reagieren sie geschockt auf die Gäste aus der Wirtschaft. Zum Beispiel Anna Loerper. Die Handballerin aus Leverkusen, die mit der Mannschaft unter Tränen frühzeitig ausgeschieden war, erstarrte für einen Moment, als ein ihr fremder Mann sie unvermittelt ansprach. „Wie sieht es denn bei euch aus, seid ihr noch dabei?“, lautete die Frage. Loerper überlegte kurz. Dann beschloss sie, die Frage zu ignorieren. Sie ging mit ihrer Mannschaft. In eine Disco. Ohne den interessierten Partner aus der Wirtschaft. ERIK EGGERS