Ein Sieg für die Kunst

Es ist ein Präzedenzfall, der hoffen lässt: Das Hamburger Künstlerhaus Frise hat der Stadt den Erbpacht-Vertrag für ihr Grundstück abgekauft. Das hatte im Zuge der Gentrifizierung eigentlich an einen finanzkräftigen Investor gehen sollen

Gentrifizierung ist schön. Aus Sicht der Politiker jedenfalls. Aber sie ist auch ein Kreislauf ohne Ende. Das Prozedere ist weltweit identisch und übersichtlich: Man schickt Künstler in Stadtteile, die man aufwerten möchte. Ködert sie mit günstigen Atelierpreisen, auf dass im Stadtteil kreative Buntheit entstehe. Ist die Gegend dann attraktiv genug, beginnen Grundstückspreise und Mieten zu steigen, bis sie für Künstler unerschwinglich werden. Und ab mit ihnen – in den nächsten Problemstadtteil. Selten haben die Künstler Lust, sich das gefallen zu lassen. Selten allerdings haben sie – neben ihrer künstlerischen Arbeit – genug Kampfwillen und Energie, um den lukrativen Verkauf der Immobilie, die sie bewohnen, abzuwenden.

In Hamburg-Ottensen ist das jetzt – erstmals in der Hansestadt – einem Künstlerkollektiv gelungen: Das Künstlerhaus Frise, bestehend aus Ateliers und Künstlerwohnungen, hat der Stadt am Mittwoch das Erbbaurecht ihres Grundstücks bis 2044 abgekauft. Der Kampf währte zwei Jahre – lange, aber erträglich für eine Künstlergemeinschaft, die dasselbe 2003 im Hamburger Schanzenviertel erlebt hatte und keine Wiederholung wollte: Nach 25 Jahren war man dort aus einem eigenhändig umgebauten Fabrikgebäude im sich aufhübschenden Schanzenviertel herausgekündigt worden. Der Eigner wollte die Räume lukrativer vermieten. Die Künstler flohen nach Ottensen: Ein ehemaliges Friseurinstitut haben sie 2003 aufwendig umgebaut und bewohnbar gemacht. Ihr Pech: Auch Ottensen mutierte binnen zwei Jahren zum Modestadtteil. Und das Frise-Grundstück ist ein echtes Filetstück: zentral inmitten eines kreativen Stadtteils gelegen, nicht weit von der Elbe entfernt. Die Stadt begann 2004 Grundstücke im großen Stil zu verkaufen; für das Gelände der Frise versprach man sich gute Preise. Den Wert des Gebäudes wollte man per Höchstgebotsverfahren ermitteln, auf dass sich ein gediegener Investor fände. Er hätte die Künstler per Vertrag zwar bis 2013 übernehmen müssen. Aber bei frei flottierenden Mieten, die die Künstler schnell überfordert hätten. „Das wollten wir auf keinen Fall. Deshalb haben wir eine Künstlergenossenschaft gegründet, um einen Träger zu haben und Kapital zu akquirieren. Mit dem haben wir der Stadt dann ein Kaufangebot gemacht“, sagt Künstlerin Sabine Mohr.

Die Stadt zögerte. Wieder und wieder bekundeten die Künstler ihr Kaufinteresse – und setzten schließlich die Erstellung eines Verkehrsgutachtens durch. Dessen Fazit: Das Grundstück war doppelt so viel wert, wie das Angebot der Künstler. Aber das Gutachten ergab auch den Wert der Erbpacht, die für die kommenden 36 Jahre auf dem Grundstück liegt. Das konnte sich die Frise leisten. „Wir haben sofort Interesse bekundet“, sagt Mohr. Denn man wollte nicht Grundeigentum erwerben, sondern das Künstlerhaus erhalten – eine Struktur, die mit internationalen Gastateliers und Nachwuchs-Ausstellungen eine wichtige Keimzelle des künstlerischen Nachwuchses in Hamburg ist.

Das alles hat die – zumindest hamburgweit – erste Künstlergenossenschaft also vorgestern unterschrieben. Entscheidend dabei: Miethöhe und -zweck sind festgeschrieben: Das Haus darf ausschließlich Künstlerateliers beherbergen. Finanziell ändert sich für die Künstler nichts, lediglich am Prozedere: Was sie bisher als Miete an eine Aktiengesellschaft der Stadt zahlten, wird künftig zum Ablösen des Kredits genutzt, mit dem der Erbbau-Vertrag finanziert wurde.

Ein weiter Weg sei es bis dahin gewesen, sagen die Künstler. Und ohne das Wohlwollen von Kulturbehörde und Liegenschaftsamt – sprich: der ideellen Begleitung städtischer Institutionen, die eben keine Aufwertung auf Kosten der Kreativen wollen – hätte man das nicht geschafft.

Dabei geht es den Frise-Bewohnern vorrangig gar nicht um den Sieg über Bürokratie, Politiker oder Makler, die nun um ihre Provision gebracht sind. Sondern darum, „ein Beispiel zu setzen,Gentrifizierung zu verhindern und den Teufelskreis zu durchbrechen, der Künstler immer wieder in Entwicklungsgebiete schickt, um sie später daraus zu vertreiben“, sagt Mohr. Außerdem gehe es um eine soziale Struktur: das inzwischen 30 Jahre alte, immer noch funktionierende Modell Künstlerhaus, das eben nicht antiquiert oder tot ist. Diese Struktur sei ortsgebunden, sagt Mohr. „Wenn man den Ort zerstört, verschwindet auch die Struktur.“

Dass das Schicksal der Frise auch in deren Herbstprogramm Eingang findet, ist schon fast eine Notwendigkeit: „Anordnungen Raum geben“ heißt das am 3. September beginnende Ausstellungs- und Vortragsprogramm. Über Architektur und Stadt als Kommunikationsmedien sowie Möglichkeiten der Aneignung und Umwidmung will man da reden. Unter anderem über „Visoniary Veddel“. Das ist konsequent: Die künstlerische und studentische Besiedlung dieses Hamburger „Problemstadtteils“ läuft bereits auf Hochtouren.

PETRA SCHELLEN