Minarette am Rhein

Der Moscheestreit von Köln fand über die Domstadt hinaus ein Echo. Ein Sammelband fasst die hitzige Debatte zusammen

VON DANIEL BAX

Köln war schon immer ein seltsames Pflaster. Bis zum Einmarsch französischer Revolutionstruppen 1791 durften die wenigen Protestanten der Stadt dort keinen öffentlichen Gottesdienst abhalten und ihre Toten nur außerhalb der Stadtmauern begraben; Juden war es gleich ganz untersagt, die Stadt zu betreten. Erklärt dieser historische Hintergrund vielleicht, warum ausgerechnet in Köln der Streit um den Neubau einer Moschee im vergangenen Jahr so heftig eskalieren konnte? Moscheen werden schließlich in vielen deutschen Städten gebaut, ohne dass es dabei stets zu vergleichbarer Aufregung kommt.

Aber Polemik beiseite: Wenn der Stadtrat von Köln nach langem Hin und Her am 28. August abschließend über das Gebetshaus entscheidet, das die Türkisch-Islamische Union (Ditib) im Einwandererviertel Ehrenfeld plant, dann kann dessen Bau beginnen. Als Ergebnis der Debatte, die weit über die Grenzen der Domstadt hinaus hohe Wellen schlug, haben die Bauherren schon jetzt zugestimmt, dass die von einem deutschen Architekturbüro entworfene Moschee mit ihren zwei Minaretten kleiner ausfallen soll als ursprünglich vorgesehen.

Ein Sammelband aus Köln hat versucht, die denkwürdige Debatte zu resümieren. Ausgiebig kommen hier noch einmal die Gegner und Kritiker der Moschee zu Wort: Ralph Giordano geißelt einmal mehr „den Islam“ für seine „Unfähigkeit zu Selbstreflexion, zu Selbstkritik und Selbstironie“. Henryk M. Broder behauptet ohne jeden Beweis, auch in Ditib-Gemeinden könne man „schockierende Äußerungen zu Zwangsehen und Ehrenmorden“ hören. Kölns Kardinal Joachim Meisner darf die Einwanderung der Muslime als „Kulturbruch“ bezeichnen und seinem „unguten Gefühl“ Ausdruck verleihen. Es dominiert eine Rhetorik des Verdachts. Doch der Zeit-Redakteur Jörg Lau dekretiert: Diese „neue Schärfe im Streit mit dem Islam“ sei „eine gute Nachricht“. Na denn!

Auch Herausgeber Franz Sommerfeld gibt in seinem Vorwort eine sehr einseitige Interpretation des Moscheestreits vor: Diese „exemplarische Debatte über Einwanderung und Integration“ sei nicht weniger als „ein Lehrstück über Demokratie“, jubelt der ehemalige DKP-Hofjournalist und heutige Herausgeber des Kölner Stadt-Anzeigers, der die Auseinandersetzung mit angezettelt hat. Ralph Giordanos harsche Ausfälle verharmlost er mit den Worten, hier seien „gegensätzliche Vorstellungen von kritischer Diskussion“ aufeinandergeprallt. Giordano-Kritikern dagegen unterstellt er, sie hätten versucht, eine „offene Debatte zu verhindern“. Abgesehen davon, dass das Unsinn ist, stellt sich die Frage, ob jede „offene Debatte“ auch gleich ein zivilisatorischer Fortschritt ist.

Auf diese Frage geht Sommerfeld leider nicht ein. Dabei vermischt sich gerade in der Auseinandersetzung mit dem Islam das linksliberale „Man-muss-doch-über-alles-reden-können“-Credo mit dem „Das-muss-doch-mal-gesagt-werden“-Ressentiment der Rechten.

Was bei der Lektüre von „Der Moscheestreit“ am meisten erstaunt, ist die seltsame Koalition aus ehemals linken Publizisten, die „dem Islam“ misstrauen, und Kirchenfürsten, die Konkurrenz fürchten. Wenn Henryk M. Broder im Gleichklang mit Bischof Walter Mixa für jede Moschee in Deutschland „im Gegenzug“ eine Kirche in der Türkei verlangt, kann man über die Motive nur spekulieren: Geltungssucht oder Chauvinismus? Mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist die Forderung, die Religionsfreiheit für Muslime an Bedingungen zu knüpfen, jedenfalls nicht.

Am interessantesten ist in dieser Hinsicht der Beitrag von Joachim Frank, studierter Theologe und stellvertretender Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers. Er analysiert darin die Gründe für den „Klimawandel zwischen den Kirchen und den islamischen Verbänden“ und macht dafür etwa den evangelischen Bischof Wolfgang Huber verantwortlich. Während dessen Amtsvorgänger Manfred Kock nach dem 11. September noch versucht hatte, das Verbindene zwischen den Gläubigen zu betonen, markierte Hubers Wahl zum Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche eine „Zäsur für den christlich-islamischen Dialog“, so Frank. Unter ihm habe die evangelische Kirche einen Kurs der Abgrenzung eingeschlagen, der in Hubers geschmackloser „Appeasement“-Warnung auf dem Kirchentag in Köln gipfelte. Frank führt diese „neue Schärfe“ auf das „Gefühl schwindender Macht“ zurück, das christliche Funktionäre wie Huber angesichts ihrer bröckelnden Gefolgschaft in den Kirchengemeinden umtreibe.

„Der Moscheestreit“ bietet daneben noch einige Beiträge mehr, zur Geschichte der Arbeitsmigration etwa oder zur Architektur von Moscheen. Nur auf die Angst-Propaganda der rechtspopulistischen Stadtratsfraktion „Pro Köln“, welche den Streit um die Kölner Moschee ja eigentlich als Erste angestoßen hatte, geht der Sammelband mit fast keinem Wort ein. Das ist schade, denn daran hätte man ja Unterschiede und Überschneidungen in den Diskursen rechtsextremer und bürgerlicher Moscheekritiker ablesen können. Eine solche Kritik der „Islamkritik“ fehlt: Sie hätte womöglich aber auch das selbstgerechte Bild von Köln als Hort immerwährender Toleranz und Debattenfreude stören können. Auch fehlt jeder Blick über den eigenen Horizont, zu vergleichbaren Fällen und Debatten, in der Vergangenheit oder in anderen Ländern.

So hat „Der Moscheestreit“ vor allem dokumentarischen Wert. Ein kritischer Sammelband über den Streit von Köln steht noch aus.

Franz Sommerfeld (Hrsg.): „Der Moscheestreit. Eine exemplarische Debatte über Einwanderung und Integration“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 240 Seiten, 8,95 Euro