: Ein Klischee, das umkippt
Ein Flirt mit der Vergangenheit: In der Produzentengalerie „Scotty Enterprises“ machen die Künstlerinnen Ute Litzkow und Anke Becker gemeinsame Sache. Mit Zeichnungen, Collagen und einer großen Liebe zur Kunstgeschichte
VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER
„Eldorado“ (2007) nennt Anke Becker eine ihrer Serien und spielt damit auf das legendäre Goldland im nördlichen Südamerika an, ein ewig gesuchtes und nie wirklich gefundenes Traumland. Anders als der Titel vermuten ließe, werden aber keine idealen Zustände oder imaginären Schauplätze möglicher Utopien abgebildet. „Eldorado ist für mich eine metaphorische Auseinandersetzung mit unseren gewohnten Vorstellungen von Landschaft und Utopie“, erklärt Becker die gedankliche Suche, die ihre Collagen motiviert.
Mit Markern und Filzstiften gezeichnete abstrakte Flächen und gefundene Versatzstücke aus Zeitungen und Zeitschriften lassen aus der Ferne eine bläulich graue Felsformation erkennen. Von Nahem betrachtet, werden einmontierte Fragmente aus Fassaden spätmoderner Bauten mit ihren prägnanten geometrischen Texturen, aber auch Pflanzenstrukturen erkennbar. Ihre unerwartete Gegenständlichkeit irritiert in der vermeintlichen Gebirgslandschaft. Immer wieder stören sie die Tiefenräumlichkeit. Um das Ganze noch zu toppen, hat Becker einen farblich kaum abgesetzten Strahlenkranz um die aufgetürmte Struktur gelegt. Er erinnert an die schwärmerischen Utopien einer Aussöhnung von Natur und Architektur der 1920er-Jahre.
„Ein Klischee, das umkippt“, ist das, was Becker sich vorstellt. „Pittoreske Ansichten“ nennen sie und Ute Litzkow ihre gemeinsame Show, die derzeit bei Scotty Enterprises e. V. in Kreuzberg zu sehen ist. Anders als bei anderen Berliner Produzentengalerien, die einen Galeristen ernennen, vertreten sich bei dieser 2006 gegründeten Initiative die 18 beteiligten Künstler und Künstlerinnen selbst. So war es Ute Litzkow, die Anke Becker zu einer gemeinsamen Ausstellung einlud. „Unsere Arbeitsweisen sind in einigen Bereichen sehr ähnlich,“ erklärt Litzkow ihre Entscheidung, „wir setzen uns beide mit Landschaft auseinander und verschmelzen in unseren Collagen filigrane Zeichnung mit fremden Versatzstücken.“
Wenn hier das Malerische auf den Plan gerufen wird, dann sicherlich nicht ohne ein Fünkchen Ironie. Beide Künstlerinnen denken nicht im Ernst daran, dass ihre Versuchsanordnungen, die mit Hilfe von Gelrollern, Finelinern, Bleistift, Aquarell, Tuschen, Wachsstiften, Buntstiften, Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitten, Farbkopien, Schere und Cutter auf Papier entstanden sind, tatsächlich jenes idyllisches Gefühl evozieren könnten, das etwa mit Landschaftsbildern von Claude Lorrain und Nicolas Poussin assoziiert wird. Dass das Pittoreske ein Begriff aus der Ästhetik des 18. Jahrhunderts ist, empfindet Litzkow andererseits als gar nicht so unpassend, setzen sich ihre aktuellen Arbeiten doch mit Holzschnitten von Katsushika Hokusai aus ebenjener Zeit auseinander.
Zu den bekanntesten Werken dieses japanischen Künstlers zählen die Farbholzschnitte der Serie „36 Ansichten des Berges Fuji“. Wenn Litzkow sich auf Hokusai bezieht, dann hat sie allerdings Holzschnitte ausgewählt, die Momentaufnahmen der japanischen Gesellschaft und Kultur darstellen und gewissermaßen das menschliche Leben der Zeit abbilden. „Ich suche mir eine Vorlage aus und trete mit ihr in eine Art Dialog“, erklärt Litzkow ihr Verfahren. „Am Ende soll daraus mein eigenes Ding werden.“
Faszinierend ist, wie Litzkow durch Aussparung ganzer Flächen und durch ein patchworkhaftes Arbeiten die Struktur des Holzschnittes nachempfindet, zugleich aber durch die Wahl der Technik und des Materials absolut zeitgenössisch ist. Hokusais Holzschnitte übersetzt sie in eine farbenfrohe Bildsprache mit überwiegend kreischenden Farbtönen. Auch Kitschbastelzeug, wie reflektierende Folien, findet dabei Einzug in ihre Bildwelt.
Der Griff nach einem fernen Vorbild, um über die eigene Umwelt zu reflektieren, scheint für Litzkow kein Konflikt zu sein. Weiß man, dass sich ihr Kommentar über die Gegenwart vor allem auf Überschneidungen von virtuellen und realen Räumen bezieht, passt ihre Wahl tatsächlich gut. Hokusai machte nämlich den Begriff Manga populär, der noch heute für japanische Comics verwendet wird. Seine Manga waren Skizzen, die zwischen 1814 und 1815 in insgesamt 15 Bänden veröffentlicht wurden. So wirken auch die Figuren in Litzkows Zeichnungen wie japanische Animes. Sie könnten aber auch aus Second Life stammen.
„O.T: Nach Hokusai, Nach Grien, Nach Canaletto“ heißt die Arbeit, die Ute Litzkow gerade rechtzeitig zur Ausstellung fertiggestellt hat. Wie der Titel offenlegt, hat Litzkow ihren Dialog erweitert. Postmodern gemixt erhalten weitere Künstler längst vergangener Zeit Einzug in ihr Werk. Sie erzeugen pittoreske Spuren, die ähnlich wie die Suche nach räumlichen und inhaltlichen Zusammenhängen bei Anke Becker eine Ruhelosigkeit erzeugen, die die bildliche Realität permanent untergräbt und mit malerischen Ansichten immer nur flirtet.
Anke Becker/Ute Litzkow: „Pittoreske Ansichten. Arbeiten auf Papier“, bis 30. August, Mi.–Fr. 15–19 Uhr, Sa. 12 –16 Uhr, Scotty Enterprises e. V., Oranienstr. 46
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