Mein Hund, der Leistungssportler

Wenn die Windhunde beim Windhund-Derby in Hamburg-Rahlstedt um die Wette laufen, dann hören sie nicht mehr auf den Menschen, sondern drehen ihr eigenes Ding. Denn zum Laufen muss sie niemand zwingen – eher dazu, wieder aufzuhören

VON ROGER REPPLINGER

Unter Brücke Nummer 692 steht ein Caravan. Hier sitzt ein Mann im Campingstuhl und murmelt: „Is ja gut, is ja gut.“ Im Caravan, hinter Gitter, liegen zwei Windhunde. Der Schwarze fiept, der Braune schläft. Später am Tag werden auf der Hunderennbahn Rahlstedt das 55. Deutsche Windhund-Derby und die internationalen Rennen stattfinden. „120 Hunde“, erklärt Hans Rogmans, Zweiter Vorsitzende des ausrichtenden Norddeutschen Windhundrennvereins (NWR), „sind hier am Start. Aus Dänemark, Polen, der tschechischen Republik und den Niederlanden.“

Die Windhunde laufen, nach Rassen und Geschlecht getrennt: Afghanen, 4000 vor Christus von Nomaden gezüchtet, Azawakh aus Afrika, Barsois aus Russland, Greyhounds aus Großbritannien, Salukis aus dem nahen Osten, ursprünglich Hunde der Beduinen, Whippets aus Großbritannien. Einige Greyhounds sehen so aristokratisch aus, als würden sie sich nicht mit bürgerlichen Hunden messen. Aber wenn der falsche Hase, hinter dem die Hunde herlaufen, Staub aufwirbelt, lässt auch ein feiner Hund die Sau raus: Windhunde müssen nicht zum Rennen gezwungen werden, sondern dazu, nicht zu rennen.

Cornelia Dreyer hat drei Töchter und einen zwei Jahre alten braun-weißen Whippet namens Lupo. Der liegt am liebsten auf der Couch und lässt sich am Bauch kraueln. Wenn Frau Dreyer mit ihm raus geht, braucht sie ein Fahrrad, um mitzuhalten. „Eigentlich hatten wir mit Rennen nichts im Sinn, und unser verkuschelter Hund auch nicht. Wir wussten auch nicht, ob er schnell ist, oder langsam“, sagt Teresa Dreyer, 16. Der Züchter sagte den Dreyers, dass sie ihn doch mal mitlaufen lassen sollen. Lupo hat gleich das erste Rennen gewonnen. Es war offensichtlich, dass es Lupo gefiel, auf dem Siegerpodest oben zu stehen. Teresa auch.

Der Mensch bekommt für den Sieg einen Pokal, der Hund eine Decke. Whippets laufen, auch wenn die Apparatur, mit der Iraj Sattarzardeh den Hasen per Funkgerät um die Bahn steuert, ausfällt, und der falsche Hase, entweder ein Lammfell oder eine Stoffmaus, liegen bleibt, weiter, immer weiter. Mindestens eine Runde, 350 Meter, bis sie wieder beim Hasen sind.

Es gibt „hasenscharfe“ und „nicht-hasenscharfe“ Hunde. Im Ziel kommt es zu bitteren Ungerechtigkeiten, wenn der erste Hund so schnell ist, dass er trotzt verzweifelter Bremsung, weit über den platt da liegenden Hasen hinaus rennt, sich möglicherweise auch überschlägt, während der Zweite, oder manchmal auch erst der Dritte, den Hasen schnappt. Dann muss der Mensch dem „hasenscharfen“ Hund den Hasen entreißen, sonst merkt der sich, dass es im Hinblick auf den Hasen besser ist, auf Platz zu laufen. Der Besitzer des Siegerhundes holt sich den besabberten Hasen und gibt ihn dem Sieger, damit Penelope oder Snap Dog wissen, wie der Sieg schmeckt.

Peppina ist zweieinhalb und gehört zum Tiermediziner Arne Lüssen aus Hamburg-Volksdorf. Peppina ist ein spanischer Podenco, mit noch was anderem drin, und kam mit zwölf Wochen aus Malaga in eine deutsche Familie mit viel Geld und vielen Kinder, die ein Trampolin im Garten hatten, aber wohl auch auf dem Hund herumtrampelten. Er wurde als „Problemhund“ beim zuständigen Verbraucherschutzamt Altona vorgestellt.

Lüssen und Peppina mochten sich sofort. Peppina erwies sich als „großartiger Hund mit prima Eigenschaften: kinderlieb, friedlich. Lässt sich aber nicht alles gefallen, weder von anderen Hunden noch von Menschen“. Peppina hat ein intelligentes Gesicht, „Maske“ wie der Hundekenner sagt, Fledermausohren, Cajalaugen. Peppina läuft heute nicht, guckt nur mal, ob ihr das liegt.

Tut es. In Rahlstedt gibt es im Vereinshaus selbst gebackene Torten, und draußen Salat, Pommes mit Majo und all diese Sachen. Da sitzt dann ein kräftiges Frauchen und mampft, während der Hund, dessen Rippen man zählen kann, leise wimmert. Frauchen gibt nichts ab, denn der Hund ist ein Leistungssportler.

Greyhounds, erzählt Herr Rogmans, sind mit etwa 60 Stundenkilometern, die zweitschnellsten Säugetiere. Nur der Gepard ist mit 80 bis 100 Sachen schneller. Die Greyhounds wetzen, Zunge raus, die 480 Meter, die sie in Rahlstedt unter die Pfoten nehmen, in 28 Sekunden.

Die Hunde sind so versessen aufs Laufen, dass der Startbereich eingezäunt ist, damit die Vierbeiner den falschen Hasen nicht zu früh sehen. Es ist schwer, die Hunde in die Startboxen zu zwingen, in denen sie toben und bellen, bis die Klappe der Startanlage auf- und die des Hundes zugeht. Dann bellen sie noch zehn Meter, ab da brauchen sie die Luft zum Laufen. Unter den 300 Zuschauern sind ein paar, die diesen oder jenen Hund anfeuern, aber die hören auch hier nicht auf den Menschen, sondern machen ihr eigenes Ding.

Ein Windhund kostet rund 2.000 Euro. Potenzielle Sieger kommen teurer. Züchter entscheiden sich für Schönheit oder Geschwindigkeit, oder versuchen, einen Kompromiss zu finden. Hübsche Afghanen mit langen Haaren rennen nicht so schnell wie die nackten, windschlüpfrigen. Es kommt immer mal wieder vor, dass sich Hunde unterwegs Schubsen oder Beißen, was zur Disqualifikation durch die Rennleitung führt.

Gezockt wird in Rahlstedt nicht. Jedenfalls nicht offiziell. „Dann geht es nur noch ums Geld und nicht um die Tiere“, sagt Rogmans. In Ländern wie Spanien und Großbritannien, in denen viel Geld auf Windhunde gesetzt wird, haben Tiere, bei denen absehbar ist, dass sie nicht schnell laufen, keine Überlebenschance. Bestenfalls landen sie auf der Straße.

Ein Rahlstedter Windhund dagegen sieht die Straße nach dem Rennen durchs Fenster des Caravans. Auch wenn er nicht in der komfortablen Situation ist, sich mit einer gewonnenen Hundedecke anfreunden zu dürfen.