„Man erwartet vom Opfer, dass es etwas tut“

Der Hannoveraner Bert Simon geht als Botschafter des Weißen Rings von Deutschland bis in die USA, um auf das Problem Stalking aufmerksam zu machen. Er selbst war Opfer einer Stalkerin und leidet bis heute unter den Folgen

BERT SIMON, 38, macht als Botschafter des Weißen Rings auf Stalkingopfer aufmerksam.

taz: Herr Simon, als Botschafter des Weißen Rings wollen Sie auf Stalking aufmerksam machen – ist das Thema nicht seit einiger Zeit in der Öffentlichkeit angekommen?

Bert Simon: In der Bevölkerung ist es wohl angekommen. Aber es ist durchaus noch eine Frage, wie die Polizei vor Ort das neue Stalking-Gesetz umsetzt. Es ist zwar schön, das Gesetz zu haben, es werden auch Platzverweise ausgesprochen, aber Festnahmen gibt es kaum.

Dafür gibt es juristische Voraussetzungen: Untersuchungshaft darf zum Beispiel nur verhängt werden, wenn der Täter ein Opfer bereits in die Gefahr des Todes oder schwerer Gesundheitsschädigung gebracht hat.

Aber schon eine vorläufige Festnahme ist ein Zeichen für Täter, dass es so nicht weitergeht. In Hamburg wurde vor ein paar Monaten eine Frau von einem Stalker lebensgefährlich verletzt, obwohl dem Mann bereits per einstweiliger Verfügung verboten worden war, sich ihr zu nähern.

Ihre Verlobte und Sie sind vor zwei Jahren Stalking-Opfer geworden – thematisieren Sie Ihre eigene Geschichte auf dem Marsch?

Auf jeden Fall, denn ich möchte den Leuten und der Polizei zeigen: Beim Stalking geht es darum, jemanden zu besitzen, und wenn sich das wahnhaft weiterentwickelt, wird es lebensbedrohlich. Wobei es in meinem Fall so war, dass sich die lesbische Stalkerin in meine Verlobte verliebt hatte und sie schließlich versuchte, mich zu ermorden.

Haben Sie sich damals an die Polizei gewandt?

Es hieß – und das tut es heute auch noch oft: Wir können nichts tun; Sie müssen Ihre Telefonnummer ändern; Sie dürfen nicht mehr so viel rausgehen. Man erwartet im Grunde vom Opfer, dass es etwas tut, während der Täter so weitermachen kann wie bisher.

Wie erreichen Sie die Leute vor Ort für Ihr Thema?

Einerseits nutze ich die Medien, obwohl ich da vorsichtig sein muss. Zurzeit möchten 16 Fernsehsender ein Programm mit mir machen, wobei mir die Formate nicht zusagen. Das Lustige ist, dass alles, was wir im Tatort sehen, sich die Autoren nicht aus den Fingern saugen, das sind reale Fälle. Wenn ich mit Leuten spreche, gibt es zwei Reaktionen: diejenigen, die es an sich heranlassen mit all den schlechten Gefühlen, die das begleitet. Es ist nicht einfach, wenn man jemanden über ein Kapitalverbrechen reden hört und den am Tisch gegenüber sitzen hat. Andere verschließen sich dem Thema komplett und sagen das, was ich vor zwei Jahren auch gesagt habe: Das kann mir nicht passieren.

80 Prozent der Stalking-Opfer sind Frauen. Wie sind die Reaktionen auf Sie als männliches Opfer?

Die Überlebenden von Kapitalverbrechen sind geschlechtslos. Ich höre nie, dass die Leute es sonderbar fänden, dass ich als Botschafter des Weißen Rings für das Thema unterwegs bin.

Was sind für Sie die langfristigen Folgen des Anschlags?

Praktisch gesehen muss ich mich auf meinem Weg von Stuttgart in das Stuttgart in den USA einschränken: Ich kann nicht mehr im Dunkeln gehen, deswegen muss ich den Teil in den USA in den Sommer verschieben. Ich habe mein Kurzzeitgedächtnis und einen Teil meines Gehörs eingebüßt. Dazu kommen die psychischen Aspekte: Ich habe mein Vertrauen verloren und die Nächte sind katastrophal. Ich bin ein Gejagter meiner Träume.INTERVIEW: FRIEDERIKE GRÄFF