Im Namen der Party

Ein Radio wächst im Netz: Das junge Webradio Sonett77 spielt nicht nur 24 Stunden am Tag elektronische Musik, sondern bringt auch Informationen rund um das Clubleben

VON TIM CASPAR BOEHME

Tim Thaler sieht nicht so aus, als hätte er in letzter Zeit viel geschlafen. Müde wirkt er trotz seiner Augenringe keinesfalls. Wenn er von seinem neuen Projekt spricht, ist die Begeisterung spürbar. Seit Anfang Juli ist Sonett77, ein Internetsender für elektronische Musik, am Netz. 24 Stunden täglich läuft das Programm und will betreut werden.

Für den Sendeleiter und Chef vom Dienst bedeutet das vor allem Arbeit: „Ich verbringe derzeit sechzehn Stunden pro Tag mit Sonett77“, schätzt Thaler. Man kann der Seite täglich beim Wachsen zusehen. Noch sind die Inhalte überschaubar, doch die wesentlichen Rubriken stehen. Wer sich für Elektronisches interessiert, bekommt Empfehlungen zu Partys und Konzerten in Berlin, kann Meldungen über neue Entwicklungen in der Szene lesen oder findet Kritiken zu ausgewählten Neuerscheinungen – inklusive Links zu Hörproben.

Das Herzstück von Sonett77 ist der Player, das „24h Radio“. Öffnet man die Seite, erscheint ein konventioneller Schallplattenspieler. Die Nadel lässt sich beim Musikhören bedenkenlos über das Vinyl ziehen oder zum Scratchen verwenden, es ist schließlich alles digital. Ein Display zeigt die aktuellen Titel an. „Wir sind jetzt in einer Anfangsphase, wir senden sauviel Musik und zwischendurch mal drei, vier Jingles“, kommentiert Thaler. Im On-Demand-Archiv kann man verpasste Folgen der moderierten Sendungen anhören.

Thaler, der früher bei RadioEins arbeitete, hat Erfahrung mit Internetradio. Zusammen mit seinem Freund Alexander Koenitz, bei Sonett77 für Nachrichten, Reviews und Partytipps zuständig, betrieb Thaler sieben Jahre lang 3headz Radio. Sie begannen als Radiosendung on demand, später kamen Clubnachrichten und ein Blog hinzu. Damit legten sie den Grundstein für ihren aktuellen Sender. 3headz war ein Nebenprojekt ohne finanziellen Ertrag, wegen anfallender Gema-Gebühren mussten Thaler und Koenitz sogar draufzahlen. Das änderte sich im vergangenen Jahr, als sie von Tom Neumann, dem Geschäftsführer von Rocket Interaction, das Angebot bekamen, ein 24-Stunden-Radio aufzubauen. Neumann betreibt mit seiner Firma Werbevermarktung und wollte für Kunden eine Zielgruppe mit Interesse an elektronischer Musik erreichen. So kam er mit Thaler und Koenitz ins Gespräch.

Finnischer Humor

Die beiden waren von der Idee begeistert. Sie wollten ein Qualitätsradio nach dem Vorbild des Online-Angebots der BBC. Neumann hatte vor allem die Vermarktungsmöglichkeiten im Blick. Mit gutem Grund: Er investierte rund 20.000 Euro in die Infrastruktur des Radios. Neben Software und Geräten stellte er auch die Büroräume mit Spreeblick. Die Geschäftsidee ist: „Sobald Werbung reinkommt, die Tom über unseren Player schaltet, verdienen wir damit Geld.“

Die insgesamt elf Mitarbeiter von Sonett77, in der Mehrheit nebenberuflich am Sender beteiligt, könnten allerdings nicht erwarten, damit reich zu werden. Bis auf weiteres geht es bei Sonett77 weniger um Geld als um die Inhalte. „Wir wollen darauf hinaus, dass wir als Radio täglich Live-Inhalte senden“, beschreibt Thaler das Ziel. Besonders wichtig für das Programm sind „Personality Shows“, die von einer ganz bestimmten Person moderiert werden. Jussi Pekka und Roberto Rodriguez, die Betreiber des Labels Frozen North Records, steuern sogar eine Radiosendung aus Finnland bei. „Die laufen mit einer Radioausrüstung durch Helsinki und Nokia, reden mit Leuten und präsentieren nebenbei Musik, die es geschafft hat, nach Finnland zu kommen. Das Ganze mit diesem furztrockenen finnischen Humor.“

Die mit Abstand verspielteste Sendung im Programm ist „Bergfest“, während der die Moderatoren gemeinsam eine Flasche Jägermeister leeren und schon mal einen alten Hiphop-Hit wie Tone Locs „Wild Thing“ zum Besten geben.

Zielgruppe: Nichtexperten

Thaler weiß noch einen Vorteil des Internetradios gegenüber herkömmlichen Sendern: „Dort wird mit Mediadaten gearbeitet, die zweimal im Jahr erhoben werden. Wir sind da wesentlich schneller. Wir sehen jeden Tag, dass um die und die Uhrzeit soundso viele Leute zugehört haben. Wir können reagieren und sagen: Das funktioniert gar nicht, also schmeißen wir es raus und überlegen uns was Neues. Oder: Das funktioniert super, machen wir vielleicht mal öfter.“

Sonett77 will auch Nichtexperten einen Zugang zu elektronischer Musik bieten, wie Koenitz betont: „Viele der Internet-Seiten zu elektronischer Musik richten sich an ein Fachpublikum und sind auf Englisch. Auf Deutsch gibt es wenige Angebote für ein Publikum, das nicht jeden Tag ins Internet guckt, nicht jeden Tag Musik saugt oder nicht jedes Wochenende in den Club geht. Unsere Zielgruppe sind eher Leute, die gerne elektronische Musik hören, aber sträflich vernachlässigt werden, weil viele Autoren in den Musikzeitschriften zu speziell schreiben.“

Auch was den Musikgeschmack angeht, will Sonett77 eigene Akzente setzen und nicht bloß den Berliner Istzustand abbilden. Daher würden auch Trends aus anderen Ländern importiert, um den Blick offen zu halten. „Dadurch, dass wir hier in Berlin eine ganz gute Clubszene haben, neigt man ein bisschen zu Selbstzufriedenheit und Konservatismus, was der ganzen Sache nicht gut tut“, sagt Koenitz. Dagegen setzt der Sender sein Programm, wie Thaler betont: „Wir können pushen, was uns gefällt. Zum Beispiel die Veranstalter Neon Raiders. Auf deren Dates weisen wir im Radio hin, obwohl die eigentlich für uns zu klein sind. Aber das sind einfach Sachen, die das Wort ‚Party‘ wieder verdienen.“

Sonett77 im Netz: www.sonett77.com