Kaukasische Querelen

Estland will wegen des Kaukasus-Konflikts den in Moskau stattfindenden Eurovision Song Contest boykottieren

Die kaukasischen Querelen sind auch im baltischen Fernsehen bitter zur Kenntnis genommen worden. Margus Allikmaa, Chef des öffentlich-rechtlichen Senders Estlands, ERR, wie auch die Kulturministerin des Landes, Laine Janes, haben vorgeschlagen, im kommenden Jahr den 54. Eurovision Song Contest (ESC) in Moskau zu boykottieren. Es wäre, so die Kulturministerin, eine „Geste der Solidarität“ mit Georgien, wie die drei baltischen Länder ein postsowjetischer Staat.

Der Vorschlag erntete allerdings, aus Lettland, Litauen, Estland wie auch seitens der Eurovisionszentrale in Genf, Kritik. Reimars Pauls, Popkomponist in Riga, gab zu bedenken, man dürfe den ESC als Plattform gerade für Musiker aus kleinen Ländern nicht einfach den „Künstlern stehlen“ – andere argumentierten, in Moskau müssen die Russen ein „plurales Festival“ wie den ESC „aushalten“, das sei auch für das russische Publikum ein wichtigerer Effekt als der Boykott dreier kleiner Nationen vom Rande des einstigen Sowjetimperiums. Svante Stockselius, Generalsekretär des ESC, gab öffentlich nur das zu Protokoll, was jeder westliche Funktionär auch vor den Olympischen Spielen in Peking (Tibet, Menschenrechte und so weiter …) gesagt hat: „Politik und Unterhaltung sollten nicht vermischt werden.“ Der ESC, so Stockselius, werde stattfinden, und zwar in Moskau vom 12. bis 16. Mai 2009.

Sollte das estnische Fernsehen seiner Wir-bleiben-Moskau-fern-Strategie tatsächlich folgen, könnte dies allerdings auch als Geste chronischer Verlierer gedeutet werden. Songs aus Tallinn haben es in den vergangenen fünf Jahren nie über die Vorrunde hinaus geschafft: ein Boykott, der politisch tut und doch nur mit der Angst zu schaffen hat, wieder schlecht abzuschneiden.

Das politische Protestprojekt wäre übrigens nicht neu. Ehe 1969 der ESC in Madrid stattfinden sollte, wurde in (sozialdemokratisch regierten) Ländern wie den Niederlanden, Schweden und Norwegen diskutiert, das Festival zu meiden – eine Teilnahme würde das Prestige der Rechtsdiktatur Francos heben. Die Niederlande machten am Ende doch mit. Pointe: Sie siegten mit Lenny Kuhr und ihrem „De Troubadour“. JAN FEDDERSEN