Jukebox

Erinnerungskonserven im klassischen Aspik

Es ist tatsächlich schon eine kleine Weile her, dass Chuck Berry das gesungen hat, „Roll over Beethoven and tell Tschaikowsky the news“, und damit wollte er den werten Komponisten nur mitteilen, dass es da eine neue Musik gäbe, den Rock ’n’ Roll, der nun das Ding der Zeit sei und man die olle Klassik deswegen gar nicht mehr brauche. Da wurden übrigens wirklich Verteilungskämpfe thematisiert in dem Lied, weil im Hause Berry die Chuck-Schwester Lucy immer das heimische Klavier mit ihren klassischen Etüden blockierte, wenn Chuck gerade seiner Popmusik frönen wollte. Aber jetzt überspringen wir einfach einmal ein paar Jahrzehnte und sehen, dass der Rock ’n’ Roll doch ein wenig siech aussieht, und bei prekären Geschäftslagen muss man sich auch mal was einfallen lassen. Ein besonders abgefeimtes Schurkenstück sind dabei diese Rock-trifft-Klassik-Veranstaltungen, wenn also einst verdienstvolle Rocker mit genügend alten Hits, um ein Publikum damit bei der Pubertät zu packen, vor einen symphonischen Apparat gestellt werden, der irgendwie „Klassisches“ zu spielen hat. Weil Klassik halt immer noch als die Goldkante im Musikgeschäft empfunden wird.

Man hat den alten Chuck Berry damals einfach nicht richtig verstanden.

Eigentlich kann man solchen Klassikrock nur mit den konservatorischen Anstrengungen eines Gunther von Hagens vergleichen, der in seinen Körperwelten-Ausstellungen doch auch das menschliche Fortleben sichert, irgendwie, wenigstens als plastiniertes Schauobjekt, was erst einmal gar nichts mit irgendwelchen Himmelsrichtungen zu schaffen hat. Jung waren schließlich alle mal im Westen wie im Osten, wobei man im Osten Deutschlands die Erinnerung daran aber doch wohl stärker gegen die Einwände der Gegenwart verteidigen muss. Jedenfalls ist „Ost-Rock Klassik“ (Werberatschlag: „Die Superstars des Ostens und ihre größten Hits in einer Symphonie aus Klassik und Rock“) mit den Puhdys, Karat und anderen samt dem Filmorchester Babelsberg am Samstag in der Freiluftbühne Wuhlheide seit langem ausverkauft. Da passen immerhin 15.000 Menschen rein. Das ist nicht wenig und würde gut reichen, um gleich etliche Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern gegen die dortige Landflucht zu versorgen.

Aber das ist ja genau die Gegenwart, von der man an so einem Abend nicht unbedingt was wissen will, wenn Klassik und Rock zusammen am Klavier sitzen. THOMAS MAUCH