Rechte stören Grass-Lesung

„Konservativ-subversive Aktion“ entrollt Transparente. Der Thinktank versteht sich als rechter Gegenentwurf zum Reemtsma-Institut. Er wirft Grass vor, in Deutschland ein selbstbewusstes Nationalverständnis zerstört zu haben

Der Saal im Thalia Theater war voll. Die Vorstellung des neuen autobiografischen Buches „Die Box“ von Günter Grass zog Viele Fans an. Aber nicht nur wohlgeneigte Leser des Nobelpreisträgers hatten zur Premiere in Hamburg Platz genommen. Auch extrem rechte Kritiker waren am Sonntagabend gekommen. Sie werfen Grass vor, er habe mit seiner Literatur in Deutschland ein selbstbewusstes Nationalverständnis moralisch zerstört.

Kaum stand Grass am Lesepult entrollten Aktivisten der „Konservativ-subversiven Aktion“ (KSA) mehrere Transparente: „www.ungebeten.de grüßt die moralische Instanz Günther Grass, Vatti ist immer dabei“, war zu lesen. Lautstark forderte die Gruppe um Götz Kubitschek ein Ende der „Nebelkerzenprosa“ – denn so bewertet die KSA Grass’ Literatur seitdem er 2006 zugegeben hat, als 17-Jähriger bei der Waffen-SS gewesen zu sein.

„Schluss“, rief Kubitschek, bis er aus dem Theater verwiesen wurde. Grass blieb gelassen. Er fragte bloß: „Für welche Zeitung machen Sie das?“ Noch am Abend der Premiere stellte die Junge Freiheit einen Artikel zu der Störung online. Das ist keine Überraschung, denn Kubitschek ist JF-Autor. Die Zeitung stört nicht, was Kubitschek sagt. „Grass lehrt, dass man mit Gedächtnislücken und ‚Orgien der Vagheit‘ zur moralischen Instanz und zum Richter über die eigene Generation und ein ganzes Land werden kann“, behauptet er.

Bei der JF liegt zum downloaden auch ein Comic mit dem Titel „Günter – ein Alptraum“ bereit. Am Sonntag verteilte die Gruppe das Werk, in dem sie Grass unterstellt mit Richard von Weizsäcker das Wort „Tätervolk“ entwickelt zu haben, um dem Nationalgefühl durch einen Schuldkomplex zu schaden.

Kubitschek kommt aus Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Im dortigen Rittergut sitzt das „Institut für Staatspolitik“ (IFS), das Kubitschek vor gut acht Jahren zusammen mit Karlheinz Weißmann gegründet hat. In der JF erklärte Weißmann, Gymnasiallehrer im niedersächsischen Northeim, einst die Intention: Das IFS solle ein „ Reemtsma-Institut von rechts“ werden. Der Einfluss des Hamburger Instituts im vorpolitischen Raum beeindruckt die IFS-Leute. Um die kulturelle Hegemonie wieder zu erlangen, gibt das Institut eigene Publikationen heraus und richtet Schulungen aus. Vor allem jungen Wissenschaftlern will es Inhalte jenseits des angeblichen deutschen Schuldkomplexes anbieten. ANDREAS SPEIT

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