Ein politischer Wirbelsturm

Wie alle Welt darauf wartet, dass der Hurrikan „Gustav“ endlich New Orleans und damit die westliche Welt erreicht – und warum das Wetter dem Kandidaten John McCain in die Hände spielt

VON ARNO FRANK

Es gibt Nachrichten aus Deutschland, es gibt Nachrichten aus aller Welt – und es gibt Nachrichten aus den USA, die sind serienmäßig mit eingebautem Wichtigkeits-Turbolader ausgestattet. Derzeit dominiert die Nachricht, dass die USA auf „Gustav“ warten, den Hurrikan, und die ganze Welt wartet mit; staunt, wie schnell sich New Orleans doch neuerdings evakuieren lässt; hofft, dass den verbliebenen 10.000 Bürgern nichts passiert. Tapfere Kamerateams sind bereits vor Ort, um spätestens am heutigen Dienstag das ganze Ausmaß der erwarteten Verwüstungen „im Kasten“ zu haben.

Es wird also alles getan, den Eindruck zu erwecken, dieser tropische Wirbelsturm wäre erst am Montagabend auf die Zivilisation getroffen und habe zuvor nur auf hoher See seine Runden gedreht.

Dabei hat „Gustav“ auf seinem Verwüstungszug durch die Karibik bisher 95 Menschen das Leben gekostet; allerdings nur in bitterarmen Ländern wie der Dominikanischen Republik, Haiti oder Jamaika.

In Kuba, wo der Hurrikan schon am Sonntag auf Land traf, wurden rund 86.000 Häuser völlig zerstört und tausende weitere beschädigt; Meldungen über Tote lagen noch nicht vor, und lägen sie vor, sie wären so weltbewegend nicht: Zu interessieren scheint allein, ob und wie denn die Vereinigten Staaten von Amerika mit der Naturgewalt umzugehen gedenken.

Seit Jahrtausenden gründen Menschen ihre Städte dort, wo sie möglichst wenig durch meteorologische oder geologische Gegebenheiten gefährdet sind. In den verhältnismäßig jungen USA aber wird der Natur traditionell mit der Magie des technisch Möglichen getrotzt und sich unverdrossen in Erdbebengebieten angesiedelt, siehe San Francisco, oder unterhalb des Meeresspiegels, in seit je von Wirbelstürmen bedrohten Breiten, siehe New Orleans. Dort war bei Redaktionsschluss am Montagabend die Evakuierung von insgesamt fast 2 Millionen Menschen, die bisher größte Aktion dieser Art in Louisiana, so gut wie abgeschlossen. Tausende weitere Menschen brachten sich in den Nachbarstaaten Mississippi, Alabama und Texas in Sicherheit. Insgesamt wurden für einen Küstenstreifen von 800 Kilometer Länge Warnungen ausgegeben.

Schließlich hatte vor drei Jahren „Katrina“, ein Hurrikan der höchsten Stufe fünf, mehr als 1.600 Menschenleben gekostet – und Präsident George W. Bush seine Restreputation als „compassionate conservative“, als „mitfühlender Konservativer“, als der er sich bis dahin hatte verkaufen können.

Während also vor Ort – übrigens dank der von der Bush-Administration ins Werk gesetzten neuen Notfallpläne – diesmal alles halbwegs im Lot zu sein scheint, hat sich der Hurrikan unversehens von einem meteorologischen in ein politisches Ereignis verwandelt. So kündigten die Republikaner wegen des Unwetters die Kürzung ihres für Montag geplanten Nominierungsparteitags in Minnesota an. Es würden nur die allernötigsten Programmpunkte abgehandelt, sagte der designierte Präsidentschaftskandidat John McCain – und nutzte die Gelegenheit, sich gerade schwarzen Wählern im Augenblick der Not als Mann der Tat zu präsentieren: „Amerika, wir sind bei dir!“

Während Obama bei seiner Krönungsmesse vor ein paar Tagen noch sich selbst und eine vage „Hoffnung“ auf einen noch vageren „Wechsel“ in den Vordergrund rückte, betont McCain schon seit Beginn seiner Kampagne ganz uneitel und hemdsärmelig den „Dienst“ am Mitmenschen, an der Nation. Je weniger er also das Unwetter politisiert, desto mehr wird es ihm politisch in die Hände spielen – wie alles, was dem gemeinen Bürger Angst einjagt. Gut in den Kram passt dem Kandidaten denn auch, dass Präsident Bush und sein Vize Cheney ihre geplanten Auftritte beim Parteitag absagten.

Wie stark „Gustav“ inzwischen den politischen Schlagabtausch dominiert, zeigt die heftige Reaktion der Republikaner auf einen müden Scherz, den sich Don Fowler erlaubt hat, ein früherer Parteichef der US-Demokraten: Als er erfuhr, dass „Gustav“ am Montag auf Land treffen werde, meinte Fowler in Anspielung auf den Wahlparteitag der Republikaner: „Das zeigt doch nur, dass Gott auf unserer Seite ist.“

Die Reaktion aus dem McCain-Lager folgte prompt, und sie folgte dem Drehbuch seiner Kampagne: Katon Dawson, Vorsitzender der Republikaner in South Carolina, geißelte Fowlers Äußerungen als „enttäuschend und verachtungswürdig“.

Und dann fügte er mit all dem patriotischen Ernst, der dem Kandidaten McCain eigen ist, tadelnd hinzu: „Ein Sturm ist keine parteipolitische Veranstaltung.“ Dabei ist er genau das.