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Keine Wohnung für „Zigeuner“

Der Bremer Sinti-Verein klagt über systematische Diskriminierung durch eine private Wohnungsbaugesellschaft. Die bestreitet das vehement – und achtet doch auf „Ausgeglichenheit“

SINTI UND ROMA IM NORDEN

Etwa ein Promille der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland ist der Volksgruppe der Sinti und Roma zuzurechnen, insgesamt rund 80.000 Menschen. Die Sinti sind dabei eine sich als eigenständig verstehende Untergruppe der im Mittelalter aus Indien nach Europa eingewanderten Roma. In Kiel gibt es seit kurzem die bundesweit erste Wohnungsgenossenschaft für Sinti, 13 Reihenhäuser sollen bis Jahresende fertig sein. Ebenfalls in Norddeutschland seine Wurzeln hat der wissenschaftliche Antiziganismus: Der Göttinger Historiker Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann (1756-1804) verhinderte maßgeblich den Versuch einiger Aufklärer, „Zigeuner“ vorurteilsfrei zu sehen. mnz

von Jan Zier

Nein, beschied man Carola Ernst schon am Telefon – an „Zigeuner“ vermiete die Bremische Wohnungsbaugesellschaft nicht. „Für Sie haben wir keine Wohnung.“ Gut zwei Jahre ist das jetzt her. Doch noch immer, sagt der lokale Sinti-Verein, vergibt die Bremische „partout keine Wohnungen an Sinti und Roma“. Das böse Wort von den „Zigeunern“ fällt dabei heute offenbar nicht mehr. Stattdessen wolle man nunmehr verhindern, sagt Manfred Walter, Vorsitzender des Bremer Sinti-Vereins, dass zu viele von ihnen „auf einem Haufen“ wohnen. Die Beschuldigte kann all diese Vorwürfe indes „überhaupt nicht nachvollziehen“: Sinti und Roma würden von der Bremischen „auf gar keinen Fall“ diskriminiert.

Aktueller Anlass der Klage ist der Fall des Herrn W., nach einem Schlaganfall pflegebedürftig, und derzeit auf der Suche nach einer behindertengerechten Wohnung. Fündig wurde er jüngst im Stadtteil Woltmershausen, der eher zu den sozialen Brennpunkten zählt. Die fragliche Wohnung, hieß es bei der Bremischen, sei zum 1. Oktober neu vermietet. Wenig später rief der Pflegedienst des Herrn W. an: Ja, doch, die Wohnung sei noch zu haben, stehe auch schon seit mehreren Monaten leer.

54 Prozent aller Sinti und Roma fühlen sich laut einer repräsentativen Umfrage bei der Bewerbung um eine Wohnung diskriminiert. Und bereits 2004 wurde Deutschland vom Europarat dafür gerügt – weil diese Minderheit hierzulande „fortlaufend“ Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt ausgesetzt sei. Das Amtsgericht Bochum stellte 1996 noch offiziell fest, dass „Zigeuner“ als Nachmieter einer Wohnung generell „nicht geeignet“ seien. Das Gericht bezeichnete Sinti und Roma als Volksgruppe, die überwiegend „nicht sesshaft“ sei und eine „fruchtbare Vermittlungsarbeit“ auch nicht erwarten lasse.

„Das sind die Bilder, die existieren“, sagt Egon Schweiger vom Verband Deutscher Sinti und Roma. Für ihn, sagt er, gehöre es zur alltäglichen Arbeit, sich mit Wohnungsbaugesellschaften auseinanderzusetzen. „Überproportional viele Sinti und Roma leben in Einfachstwohnungen“, sagt Schweiger – manchmal sogar noch in ehemaligen Obdachlosenquartieren, ohne Mietvertrag. Indes gebe es bislang noch keinen Fall, der wegen Verstoßes gegen das Antidiskriminierungsgesetz vor Gericht gelandet wäre. Vielleicht, weil die Stigmatisierung als Sinti und Roma heute oft weniger „offenkundig“ als früher sei.

So wie auch bei Familie S. aus Bremen, die derzeit in einer 70 Quadratmeter großen Drei-Zimmer-Wohnung lebt. Seit vier Jahren schon, sagt Michel S., habe man sich bei der Bremischen vormerken lassen – vergebens. Mal hieß es, ihre Akte sei verschwunden, mal wurde eingewandt, die Gefahr einer Schimmelbildung sei zu groß, wenn fünf Menschen in vier Zimmern lebten, mal war eine Wohnung bereits vergeben, die eben noch zu haben war. Zumindest für ihre deutsche Freundin, sagt Frau S.

Die Bremische bestreitet all diese Vorwürfe. „Wir haben viele Sinti und Roma in unseren Beständen“, sagt ein Thorsten Prietz, bei der Bremischen für Mietmanagement zuständig. Und oft wohnen sie in Woltmershausen. Auch Familie S. will dort hin, der Kinder wegen, und der Schule. Doch müsse man auf eine gewisse „Ausgeglichenheit“ im Stadtteil achten, so Prietz, damit das „nicht irgendwann mal kippt“. Was dann passiere? „Das kann ich nicht sagen.“

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