berliner szenen Dialoge allein (5)

Staub zu Staub

Er war nicht vorbereitet auf die Grazie dieses Staubkorns, das plötzlich im Zimmer schwebte. Mit einem Mal war es da, im Sonnenschein, der vom Fenster her schräg hereinfiel. Und als ginge es darum, dies Erscheinen gleich zu feiern, flog dieser Staub erst einmal gelassen einen Salto und zitterte dann ruhig aus. Einen Augenblick stand er still glitzernd in der Luft. Manche Schauspieler machen vor großen Monologen so eine Pause – die Kunst ist, die richtige Länge dafür zu finden. Die Länge, die dieses Staubfädchen fand, war gut. Es hatte gerade alle Aufmerksamkeit, da hob sich seine linke Seite an, und zur rechten Seite nahm es Fahrt auf, bis es, nun außerhalb des Sonnenstreifens, genauso plötzlich, wie es gekommen war, wieder verschwand.

Dafür erschien ein anderes Staubkorn in der Luft, genau an der Stelle, an der das erste erschienen war. Auch dieses Korn vollzog seine Bahn und wurde nach seinem Verschwinden von anderem Staub abgelöst. So ging das einige Minuten lang, eine Prozession erscheinender, dann schwebender, dann verschwundener Staubkörner. Viele hatten ein kleines Kunststück drauf. Sie sackten mit einem Ruck ab, um sich dann schnell wieder zu fangen; sie wirbelten um sich selbst herum; eins flog fröhlich Wellenlinien. Manche wirkten auch etwas träge. Und dann kam eines, das raste durch die Luft – als wolle es sich berstend vor Energie im Flug verzehren oder, auch das wäre möglich, als wolle es den Abschnitt im Sonnenlicht schnell hinter sich bringen.

Vielleicht sollte ich doch mal wieder Staub wischen –

dachte dann der Mann, der in diesem Schöneberger Zimmer auf dem Sofa lag und ein aufgeschlagenes Buch mit der Schrift nach unten auf dem Bauch liegen hatte. DIRK KNIPPHALS