Eine Nasenlänge voraus

Morgen eröffnet art berlin contemporary im Postbahnhof am Gleisdreieck, eine neue Plattform von Berliner Galeristen, die sich im Hamsterrad des Kunstbetriebs einen kleinen Vorsprung erhofft

VON HENRIKE THOMSEN

Der neue Flagship-Store des Labels Berliner Kunst befindet sich in den Hallen des ehemaligen Postbahnhofs am Gleisdreieck zwischen den Stadtvierteln Schöneberg und Mitte. Die Aura der beiden großen Hallen, von denen sich eine dynamisch krümmt, ist imagegerecht cool und rau. Die passenden Kunstwerke werden in diesen Tagen installiert. Ein weißer Mercedes-Kombi etwa, prosaisch und verbraucht ausschauend wie viele Menschen in dieser Stadt, wird von Arbeitern hereingeschoben.

Die Männer fassen den Gebrauchtwagen so behutsam an wie eine neue S-Klasse, schließlich könnte er bald für doppelt so viel verkauft werden – weil er jetzt Kunst ist. Carsten Höller hat die Karosserie mit der Aufschrift „Labor des Zweifels“ in verschiedenen Sprachen versehen. Auch seine italienische Kollegin Lara Favaretto assoziiert Alltagsgegenstände neu und entrückt sie ins Reich der Skulptur: Wenige Meter entfernt hat sie unter der hohen Decke, an den rohen Metallpfeilern und Ziegelwänden Gerüststangen platziert, die die Buchstaben a, b und c andeuten. Favarettos Arbeit wurde wie andere auch direkt für art berlin contemporary geschaffen. So heißt der Schauraum, der von Freitag bis Sonntag im Postbahnhof von 44 Berliner Galeristen und 74 von ihnen betreuten Künstlern nach allen Regeln der Präsentationskunst bespielt wird.

„Wir wollten ein alternatives Modell zu den üblichen Messen finden“, sagt Martin Klosterfelde von der gleichnamigen Galerie, der zusammen mit Alexander Schröder von der Galerie Neu für die Organisation zuständig ist. Das heißt: Natürlich wollen die Kunsthändler verkaufen, aber es soll nicht danach aussehen, sondern nach einer reinen Ausstellung. Neben Höllers zweifelhaftem Kombi und Favarettos Stangen füllen andere großformatige Skulpturen und Videoinstallationen die weiten Räume, darunter ein riesiges Hamsterrad von John Bock und die organisch weichen, wie im steten Fluss wirkenden Skulpturen des Brasilianers Ernesto Neto.

„Wir brauchen keine kleinen Verkaufskojen. Es ist interessanter, etwas Größeres zusammenzustellen und die Kraft der Kunst zu zeigen, die häufig in Berlin produziert wird oder hier begonnen hat“, erklärt Alexander Schröder. Wer kaufen will, kann anschließend in die Galerien kommen, die am Wochenende ebenfalls geöffnet haben und zusätzliche Künstler aus ihrem Programm vorstellen. Vielen Kunden sei das inzwischen lieber, meinen die Händler. „Die Messemüdigkeit ist auch bei den Sammlern angekommen“, sagt Schröder. „Am Anfang war die große Party toll, aber irgendwann wiederholt es sich.“

Art berlin contemporary also ist keine Messe wie das regelmäßig im Herbst stattfindende Art Forum für Gegenwartskunst, zu dem die Beziehungen der abc-Organisatoren heikel sind. Im vergangenen Frühjahr war bekannt geworden, dass das Art Forum 2008 auf einen undankbaren Termin Ende Oktober verschoben und die langjährige Leiterin Sabrina van der Ley 2009 abgelöst wird. Man witterte eine Intrige jenes Zirkels Berliner Galeristen, der hinter abc steht. Dieser Zirkel, zu dem auch neugerriemschneider, Esther Schipper, Nordenhake, Giti Nourbakhsch und Max Hetzler gehören, organisiert seit 2005 jeweils im Frühjahr das Galerien-Wochenende mit neuen Ausstellungen in den eigenen Räumen, Rahmenprogramm und VIP-Service. Es ist ein sehr erfolgreiches intimes Format geworden. Am Art Forum nehmen viele wie Klosterfelde und Schröder dagegen nicht mehr teil. So jagt eine für Außenstehende verwirrende Vielfalt von Kunstmarktereignissen übers Jahr durch Berlin, zumal Satellitenmessen wie Preview für eher junge Galerien im Flughafen Tempelhof noch dazu kommen.

Doch der innere abc-Zirkel wehrt sich gegen den Vorwurf, elitär und undankbar gegenüber der Stadt zu sein. Berlin könne problemlos mehrere Ereignisse vertragen, zumal viele Sammler nicht mehr extra angelockt werden müssten. „Früher musste es irgendeinen Anlass geben, damit sie anreisten, aber inzwischen kommen sie auch einfach so und stehen plötzlich in der Tür“, so Schröder. Tatsächlich leisten sich einige Sammler inzwischen selbst eine Wohnung, einen Ausstellungsraum oder einen Assistenten in der Stadt.

„Wir haben den Kunststandort Berlin maßgeblich mit unseren Künstlern aufgebaut“, betont Schröder grundsätzlich. „Das alte Messeformat hat für uns nicht mehr funktioniert, es war rausgeworfenes Geld. Deshalb war es wichtig, für uns ein neues Format zu finden. Für ein anderes Publikum und andere Galeristen macht das Art Forum weiter Sinn.“ Für die Zukunft ist zumindest eine friedliche Kohabitation angestrebt: 2009 sollen Art Forum und abc zeitgleich Ende September stattfinden. Letzteres will auch keineswegs als unzugänglicher Club gelten: Man könne sich gut vorstellen, im nächsten Jahr zu expandieren, sagt Martin Klosterfelde. Wer bereit sei, 4.000 Euro pro gezeigten Künstler zu investieren, und das Gespräch suche, mit dem werde man sich zusammensetzen.

Dennoch hängt abc eng mit der Idee von Exklusivität zusammen. Die Organisatoren lassen freimütig erkennen, dass ihnen das Niveau des Art Forums nicht reicht. Auch von Preview will man sich dadurch unterscheiden, dass neu präsentierte Galerien wie Sandra Bürgel, Croy Nielsen und Cinzia Friedländer in einem „qualitativen Umfeld“ gezeigt werden. So drängt sich die Parallele zum antikommerziellen Gestus von Labels wie Nike auf. Eine cleverere Form, gleichzeitig Snobismus und Street-Credibility zu bedienen, hätten sich die Berliner Galeristen nicht einfallen lassen können.

art berlin contemporary; 5.–7. 9., 10–20 Uhr im Postbahnhof am Gleisdreieck; Eintritt 7 €; Galerieöffnung 5. 9., 18 – 21 Uhr, 6./7. 9., 10–20 Uhr, Eintritt frei. www.artberlincontemporary.de