John Stuart Mill im Krieg

Wer mit der U.S. Army im E-Mail-Kontakt steht, bekommt neuerdings wehrertüchtigende Zitate gleich mitgeschickt

Zuerst war es Jutta S. gar nicht aufgefallen, so lang war das Zitat, das unten an der E-Mail hing. Frau S. arbeitet als vertragliche Zulieferin für die Rhein-Main-Airbase, und da hat sie regelmäßig geschäftlich mit der US-Armee zu tun. Bisher stand unter den offiziellen Mails, die sie aus Ramstein, Washington, Kabul, Guam oder Bagdad bekommt, immer ein knappes „god bless“.

Neuerdings, nämlich „seit der US-Wahlkampf so richtig auf Touren kommt“, so S., steht unter all diesen Mails ein kleiner Besinnungsaufsatz: „War is an ugly thing, but not the ugliest of things …“, und weiter, vollständig übersetzt: „Der verrottete und niedrige Stand moralischer und patriotischer Gefühle jener, die denken, nichts wäre einen Krieg wert, ist viel schlimmer. Die Person, die nichts hat, für das zu kämpfen sie bereit wäre, und nichts, das wichtiger wäre als ihre eigene persönliche Sicherheit, ist eine elende Kreatur und hat keine Chance darauf, frei zu sein – solange sie nicht befreit oder in Freiheit gehalten wird durch die Bemühungen besserer Menschen, als sie selbst es ist.“

Wow. Eine geschickte rhetorische Figur, die den Krieg nur unter der Bedingungen zu einer hässlichen Angelegenheit erklärt, dass es noch wesentlich Hässlicheres gibt, namentlich die Feigheit, genau genommen aber den friedlichen Zivilisten – die Ausführungen könnten von einem alten Soldaten wie John McCain oder doch aus der Feder eines neokonservativen, evangelikalen Rechten stammen, so perfekt kommen sie den Falken in Washington zupass.

Tatsächlich stammt das Zitat aus einem Werk des englischen Philosophen und Nationalökonomen John Stuart Mill (1806 bis 1873), der interessanterweise so gar nicht zum Stichwortgeber des Militärs taugt. Zwar singt Mill, ganz im Sinne der üblichen US-Propaganda, das Hohelied der Freiheit als „ersten und stärksten Wunsch der menschlichen Natur“ – macht aber anschließend eine ganz Reihe von Einschränkungen, wann und wie der Staat diese Freiheit beeinflussen oder einschränken darf.

Überdies ließe Mill sich mit einem anderen Zitat auch locker auf den Irakkrieg anwenden, dessen Ziel angeblich die Befreiung ist. Freiheit könne aber „nicht auf einer Entwicklungsstufe angewendet“ werden, „auf der die Menschheit noch nicht einer freien und gleichberechtigten Erörterung derselben fähig“ sind.

Mill wird hier also ebenso flugs wie unzulässig in einen ideologischen Gewährsmann des US-Militärs verwandelt. FRA