hamburger szene
: Medizin gegen Fernweh

Es ist gerade Nacht geworden und wir rollen schweigend mit dem Auto durch Altona. Da packt uns, ganz plötzlich, ein ur-hamburgischer Schmerz: das Fernweh. Wie ein Blitz schießt es uns beiden durch die Brust, jenes wohlig-schaurige Gefühl, das an den Landungsbrücken wohnt – dort, wo von jeher die Blicke der Menschen mit den Schiffen stromabwärts in die Ferne treiben. Richtung Nordsee. Kein Freddy-Quinn-Song kann mehr helfen. Ich trete aufs Gaspedal.

In dieser Nacht noch stehen wir am Meer. Saugen uns am Jadebusen mit Seeluft voll. Das Hotel Seerose am Südstrand Nr. 112 in Wilhelmshaven wirft ein wenig Licht den Deich hinab. Schatten von dutzenden Strandkörben reihen sich hier unten in die kühle Finsternis. Sie alle schauen verschlossen aufs Wasser: Jeder unerreichbar verriegelt mit einem Vorhängeschloss. Norddeutsche Gründlichkeit.

Warte, am fünften Korb hängt ein Zahlenschloss. Im kalten Wind vergehen Minuten beim Drehen von kleinen Rädchen. 5 - 0 - 5! Sesam öffnet sich. Unser Fernweh hat ein Nachtlager gefunden.

Wir sitzen in der gepolsterten Strandbehausung, lauschen den Wellen und fragen uns: Gehören Nord- und Ostsee nicht auch zu Hamburg? Doch. Hier fühlen wir Hamburger uns zu Hause, so wie die Münchener in den Alpen. Der Mond strahlt jetzt weit draußen einen weißen Kegel auf die See. Und es ist uns in dem Strandkorb zumute – man muss Heine heranziehen – „als ob das Herz recht angenehm verblute.“ MJK