Kindergarten vor der Zwangsräumung

Ein Kindergarten in Zehlendorf sollte heute geräumt werden. Eltern und Erzieher wehren sich dagegen. Doch der Bezirk will nicht mehr mit dem Träger verhandeln. Und die Gerichte entscheiden jeden Tag anders über den Fall

Die Geschichte klingt, als hätte ein Romanautor seine Protagonisten mit Absicht nicht miteinander reden lassen, um sie zum Schluss umso genüsslicher ins offene Messer laufen zu lassen. Doch sie ist wahr, und weil die wichtigsten Beteiligten 16 Kindergartenkinder sind, hat sie es schnell in die Boulevardpresse geschafft.

Es geht um einen Kindergarten in Zehlendorf, in der Schmarjestraße. Ein alternatives, naturnahes Projekt, getragen von einem gemeinnützigen Verein. Es geht um ein verstorbenes Ehepaar, das das entsprechende Grundstück an den Bezirk vererbte – mit der Auflage, es zu sozialen Zwecken zu verwenden. Es geht um einen Nachbarn, der sein Grundstück unbestrittenerweise zu stark bebaute. In Nebenrollen geht es außerdem um den Liegenschaftsfonds, der einen umstrittenen Preis für das Grundstück verlangte, und um einen Bezirksstadtrat, der in dem Ganzen nicht mehr der Böse sein will.

Kurz erzählt, ist bis heute das Folgende passiert: Der Kindergarten zieht in den 80er-Jahren in die Villa, mit Erlaubnis der damals noch lebenden Witwe. Nach ihrem Tod gibt es einen neuen Vermieter: das Land Berlin. Das kündigt in den Neunzigerjahren den Mietvertrag und will eigentlich einen neuen – doch dazu kommt es nicht. Warum, darüber scheiden sich die Meinungen. Trotzdem kassiert das Land als Vermieter weiter Geld, und der Kindergarten bleibt weiter in dem Gebäude.

In der Zwischenzeit verkauft das Land – in Gestalt des Liegenschaftsfonds – den hinteren Teil des Grundstücks an den Nachbarn, der auf seinem zu viel gebaut hat. Damit kann er seine Überbauung ausgleichen und muss nicht abreißen.

Zwischenzeitlich fangen beide Seiten erneut an, über einen neuen Mietvertrag zu verhandeln – zu einem Abschluss kommt es jedoch nicht. Auch dafür machen sich beide Seiten gegenseitig verantwortlich. Das Land kündigt schließlich ein weiteres Mal im vergangenen Jahr – doch die Kita-Betreiber wollen nicht ausziehen. Daher klagt das Land auf Räumung.

Bezirksstadtrat Uwe Stäglin (SPD) versteht die Aufregung nicht. Die Kündigung sei früh genug bekannt gewesen, nun müsse das Bezirksamt mit der Zwangsräumung Schaden vom Land Berlin abwenden. Zu den Berichten, dass der Nachbar der Kita das Teilgrundstück zu einem viel zu niedrigen Preis erhalten habe, will Stäglin sich nicht äußern. Ebenso wenig wie der Liegenschaftsfonds, der sich um den Verkauf gekümmert hat. Einen Bericht des Tagesspiegel, laut dem es eine Nachzahlung gab, wollte die Sprecherin nicht kommentieren.

Dagegen nennt Percy MacLean, selber Richter und zweiter Vorsitzende des Kita-Vereins, das Verfahren „eine Zumutung für Eltern und Kinder“. Dabei bezieht er sich nicht nur auf das Verhalten des Bezirks, sondern auch auf die Gerichtsentscheidungen in den vergangenen Tagen. Teilweise änderte sich innerhalb von 24 Stunden die Sachlage: Am Montag lehnte das Kammergericht einen Räumungsaufschub ab, am Dienstag gab das Amtsgericht Schöneberg den Kita-Betreibern eine Schonfrist bis zum Jahresende. Am Mittwoch hob es diese wieder auf.

Am Donnerstag hat nun das Landgericht laut MacLean erneut einen Räumungsschutz für die Kita gewährt, diesmal offenbar bis zum 30. November. Die Kita-Betreiber hoffen damit auf „ein glückliches Ende für die Kinder“ in einer Mediation mit dem Bezirk. Doch Bezirksstadtrat Stäglin sieht für eine außergerichtliche Einigung „keine Basis mehr“.

SVENJA BERGT