Staatsshow (Vol. 2)

Mit den Paralympics rücken die Belange der 83 Millionen Behinderten in China ins Bewusstsein der Öffentlichkeit

PEKING taz ■ Genauso „spannend, rührend und unvergesslich“ wie die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele vor vier Wochen werde sie sein: die Auftaktshow der Paralympischen Spiele am Samstag im Pekinger Vogelnest-Stadion. So sagt es ihr Musikdirektor Fang Ming. Unter seiner Leitung werden 400 taube Mädchen einen Zeichensprache-Tanz aufführen. Sie zählen zu den 6.000 Teilnehmern der Vorführungen, darunter viele Behinderte wie der blinde Starsänger Cai Yuzhu. Fast drei Stunden dauert die Show, fast so lang wie die zum Olympiastart.

Es soll der Eindruck entstehen, Olympia ginge noch mal von vorne los. Deshalb dürfen auch genauso viele Polizisten wie vor vier Wochen ran: Hunderttausend Beamte werden die chinesische Hauptstadt noch einmal in einen allgemeinen Belagerungszustand versetzen. „Obwohl die Paralympics viel kleiner als die Olympischen Spiele sind, wird die Zahl der im Einsatz befindlichen Polizisten die gleiche sein“, kündigt der Pekinger Polizeisprecher Zhu Yijun an.

Das hätte Zhu nicht sagen dürfen: Die Paralympics seien kleiner. Denn sie sind natürlich die Größten: 4.200 Athleten mit 2.500 Trainern aus 148 Ländern nehmen an ihnen teil – so viele wie noch nie. Bei den ersten Behindertenspielen in Rom 1960 waren 400 Sportler aus 23 Ländern dabei. Damals waren sie auch noch keine Pflicht für die Veranstalter. Doch seit den Spielen von 1988 in Seoul werden Olympia und Paralymics nur noch zusammen vergeben. Peking begriff das als besondere Chance: Indem das KP-Regime den Behinderten aus aller Welt ab morgen für zwei Wochen eine perfekte Sportbühne bietet, kann es sich ein menschenfreundliches Images geben. „Die Errungenschaften für die Sache der Behinderten in China haben der Welt gezeigt, wie sehr sich China um den Schutz und die Verbesserung der Menschenrechte bemüht“, erklärt die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua zum Paralympics-Beginn.

Dahinter verbirgt sich nicht nur Propaganda. Schon sind die angereisten behinderten Athleten im für ihre Zwecke umgebauten olympischen Dorf begeistert von den Einrichtungen. 90 Millionen Dollar haben das paralympische Organisationskomitee und die Stadt Peking investiert. 44.000 Freiwillige erhielten über drei Jahre lang speziellen Unterricht für die Begleitung der Athleten. Alle wichtigen Pekinger Touristenziele sind zum ersten Mal barrierefrei. Zur Großen Mauer gibt es jetzt zwei Behindertenlifte und auf der Mauer einen 180 Meter lange Rollstuhlrampe. Durch die Verbotene Stadt, Pekings alten Kaiserpalast, führt neuerdings eine Rollstuhlbahn. Und der berühmte Pekinger Seidenmarkt lädt mit Verkäufern, die der Zeichensprache mächtig sind, zum Shopping ein. Dazu kommt die große Fernsehshow: Von drei Wettkämpfen pro Tag wird das chinesische Staatsfernsehen live berichten. Ein so großes Publikum hatten die Paralympics noch nie.

Die Idee dabei: „Im Bewusstsein vieler Chinesen sind Behinderte in allen Belangen minderwertig. Dieses Vorurteil müssen wir zuerst ändern“, sagt Wang Xinxian, Vizedirektor des Chinesischen Behindertenverbandes. Er sieht die Paralympics als große Chance, den Chinesen mehr Akzeptanz für ihre Behinderten abzuverlangen. Sie sind in China 83 Millionen an der Zahl – so viele, wie es Deutsche gibt. Zwei Drittel von ihnen haben nach offiziellen Angaben die Schule besucht, dafür lobt sich die chinesische Regierung zu Recht. Aber nur die Hälfte von ihnen in den Städten ist krankenversichert, auf dem Land sind es nur erschreckende zwei Prozent.

Ihre Probleme wurden bisher in China durch eine Person symbolisiert: Deng Pufang, der Sohn des langjährigen KP-Patriarchen Deng Xiaopings, stürzte sich während seiner Verfolgung durch die Roten Garden der Kulturrevolution aus einem Fenster und ist seither querschnittsgelähmt. Der Vater machte die Geschichte öffentlich und den Sohn zum Chef des Behindertenverbandes, der er bis heute ist. Doch Deng Junior hatte immer einen schweren Job. Erst 2005 gelobte die KP Besserung auf breiter Front: Sie versprach im Fünfjahresplan von 2006 bis 2010 für 20 Millionen Behinderte neue Jobs und für den Rest Erziehungs- und Trainungsmöglichkeiten. Allerdings bezweifelt der Behindertenverband bereits heute die Umsetzung der Ziele. Umso wichtiger seien die Paralympics, sagt Wang. Zum Start wird Kanto-Pop-Star Andy Lau im Olympiastadion den Lead-Song „Jeder ist die Nummer eins“ singen. GEORG BLUME