Republikanische Stimmungskanone

Der erste große Auftritt der konservativen Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin ist für John McCain ein voller Erfolg: Die republikanischen Parteitagsdelegierten feiern Palin als junge konservative Reformerin und erklären sie zum Shooting Star

AUS MINNEAPOLIS-ST. PAUL ADRIENNE WOLTERSDORF

Sie ist der „Big Bang“, der Urknall des republikanischen Parteitages. Mit Sarah Palin, der 44-jährigen Gouverneurin aus Alaska, beginnt im republikanischen Wahlkampf eine neue Zeitrechnung. Neben John McCain, dem ältesten Präsidentschaftskandidaten in der US-Geschichte, tritt eine charismatische Vizepräsidentschaftskandidatin an, wie sie im republikanischen Bilderbuch steht: Jung, kämpferisch, stramm konservativ.

Am Mittwoch gab Sarah Palin in Minneapolis-St. Paul vor rund 2.400 Delegierten ihre mit wachsender Spannung erwartete Nominierungsrede. Dabei machte sie nicht nur eine gute Figur, sondern auch schnell klar, dass sie Haare auf den Zähnen hat. So stellte sie mit Stolz ihre frühere Arbeit als Bürgermeisterin ihrer 9.000-Seelen-Gemeinde Wasillia in Alaska vor. Sie wisse, sagte sie, dass ihre Gegner in dieser Wahl auf solche Erfahrungen herabblickten. Spöttisch auf Obamas Erfahrungsschatz anspielend, fügte sie hinzu: „Ich denke, die Bürgermeisterin einer kleinen Stadt ist so etwas wie ein ‚Gemeindearbeiter‘, nur dass man wirklich Verantwortung trägt.“

In diesem Stil watschte die strahlende 44-Jährige den demokratischen Gegenspieler lässig und beharrlich ab. Mal ironisch, mal kämpferisch unterstellte sie Obama, ein substanzloser Politiker auf Selbstverwirklichungstrip zu sein. Sie hingegen werde zusammen mit John McCain selbstlos ihrem Land dienen. Denn ihnen beiden ginge es nicht darum, Teil des Washingtoner Establishments zu sein. Im Gegenteil. Ihr großes Plus, so Palin, sei es, vom Land zu kommen und als „Durchschnittsmama“ für ihr großartiges Land zu kämpfen.

Was dieses Land unter einer McCain-Palin-Administration dann wirklich so großartig werden lassen würde, davon sprach die Gouverneurin, die erst am vergangenen Freitag von John McCain aus nahezu vollständiger Unbekanntheit auf die Weltbühne gebeamt worden war, nicht. Als Vizekandidatin ist es auch nicht Palins Aufgabe, Programmatik zu verbreiten. Die junge Reformerin, die zu Hause in Alaska eher mit den liberalen Demokraten klar kommt als mit den republikanischen Parteikollegen, soll schließlich in erster Linie die eigene Basis anfeuern. Die war laut Meinungsumfragen bislang wesentlich weniger angefixt als die Millionen Jungwähler im Obama-Lager.

Vor allem die John McCain gegenüber eher kritisch eingestellte evangelikale Mehrheit unter den Republikanern dürfte am Mittwoch bereits einen Narren an Palin gefressen haben. Den christlich-konservativen Sinn für Familie beuteten die Parteitags-Choreografen denn auch hemmungslos mit Palins größtem Trumpf aus: Während Palin sprach, wiegte ihr Ehemann Todd das jüngste der fünf anwesenden Kinder, den vier Monate alten Trigg, im Arm. Den hatte das Paar trotz eines diagnostizierten Downsyndroms medienwirksam als Gottesschicksal willkommen geheißen – und damit schon vor Monaten seine stramme Antiabtreibungshaltung US-weit demonstriert.

Mit im Bild vom Familienglück war auch gleich der Freund der 17-jährigen schwangeren Palin-Tochter Bristol. Deren Bauch gehört seit Montag definitiv nicht mehr ihr. Mutter Palin hatte das bislang gut gehütete Familiengeheimnis publik machen müssen – und auch gleich die Heirat ihrer Tochter mit dem 18-jährigen Schulfreund angekündigt. Damit stand die Gouverneurin, die genauso strikt für den Schutz des Lebens wie gegen Sexualaufklärung ist, plötzlich mitten im Brennpunkt des öffentlichen Interesses.

Seit Tagen verdrängen immer neue Familienenthüllungen über die Palins alle anderen Nachrichten. Kein Wunder, dass ihre Antrittsrede mit nervöser Spannung erwartet wurde. Palin hat diese erste Megaherausforderung mit augenscheinlicher Leichtigkeit gemeistert. Den frenetisch jubelnden Delegierten präsentierte sie sich als unbeirrbare Reformerin, die sich nicht scheut, gegen Parteifilz und Lobbyisten-Einfluss vorzugehen. Gemeinsam mit McCain werde sie „Washington aufmischen“, verspricht Palin. Was, so mögen sich selbst zögerlichere republikanische Wähler fragen, könnte nach acht Jahren Bush-Desaster daran falsch sein?

Palin hat in ihrer beschwingenden Rede alle wichtigen Zauberworte genannt. Von Patriotismus über Sieg im Irak bis hin zu Energieunabhängigkeit und den Kampf für das aufrechte Amerika. Besser kann ein Big Bang nicht gelingen.

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