Ein kurzes Flackern

Zwölf Maler aus aller Welt beschäftigen sich mit der sanierungsbedürftigen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Die Aktion soll Anstoß geben für eine zeitgemäße Form des Gedenkens an Krieg und Frieden rund um die Ruine

Die Sache mit den weithin sichtbaren Ausrufezeichen hat dann doch nicht geklappt: Die zwölf leuchtenden Ballons, mit der die Künstlerin und Kuratorin Emily Pütter auf die Ausstellung „Gedächtnis entsteht“ aufmerksam machen will, überragen kaum die Mauer aus Glasbausteinen rund um Kapelle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Aber was als farbenfrohes Spektakel die sonst so trübsinnige Atmosphäre rund um den nüchternen Betonkubus hätte aufheitern können, entfaltet kaum Ausstrahlungskraft. Dafür leuchten die Lichtmonde zu schwach. Jeder der zwölf „Powermoons“, künstlich beleuchtete Ballons, die der Straßenbau bei Nachtarbeiten verwendet, symbolisiert einen der beteiligten internationalen zwölf Künstler. Deren Werke sollten sich mit der Bedeutung der Gedächtniskirche als Mahnmal für den Frieden in unserer Zeit auseinandersetzen, um das Monument auch international als Friedenssymbol zu konstituieren.

So jedenfalls die Idee der Berlinerin Emily Pütter, die zusammen mit Leo Königsberg die Aktion ins Leben rief. Künstler aus Korea, Polen, Russland, England, Spanien, Argentinien, Frankreich, Amerika und Österreich sind dabei. „Uns war auch wichtig, dass mit Adnan Kalkanci ein Kurde und mit Rolf Biebl ein Ostberliner ein Statement zu dem Bau abgeben, die so auch eine große Gruppe von Berlinern repräsentieren“, sagt Pütter.

Die Idee zur Ausstellung entstand als Fortsetzung von Emily Pütters erstem Engagement für die Sanierung der Gedächtniskirche. Vor einiger Zeit malte sie für eine Benefizauktion ein Bild des alten Gemäuers. Auch die zwölf neuen Werke, die unentgeltlich für die Aktion entstanden sind, sollen zum Erhalt des Mahnmals beitragen. Sie werden bei Christie’s versteigert werden. „Jede Generation sollte ihren Beitrag für den Erhalt der Kirche leisten, damit das Geschehene auch für nachfolgende Generationen als Symbol bewahrt wird“, meint Emily Pütter.

Dass sich die Künstler schnell von der guten Sache emanzipierten, sich also mit dem Bauwerk und seiner zwischen Kaiserreich, Zweitem Weltkrieg und Nachkriegszeit changierenden Geschichte beschäftigen, macht die Sache umso interessanter. Für alle Maler galt eine strikte Vorgabe: Die Gedächtniskirche sollte im Bild erscheinen.

Auf besondere Ablehnung stießen die Kuratoren damit zwar nicht. Aber anders, als sie es erwartet hätten, seien die Statements weitaus verhaltener und nicht unbedingt als kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Gedächtniskirche ausgefallen, sagt Pütter. Adnan Kalkanci freilich schuf ein düsteres historisches Szenario in grün-gelblichen und braunen Tönen. Um Gräuel und Hoffnung, Zerstörung und Wiederaufbau dreht sich in „Die Toten versöhnen sich“ alles. Am unteren Bildrand symbolisieren zwei Hände, die eine Bibel halten, den Ursprung der christlichen Religion. Über dem aufgeschlagenen Buch schichten sich Tafeln zu einem Turm auf wie in Pieter Brueghels „Turmbau zu Babel“ die Steine. Darauf thront die Gedächtniskirche als „verletztes Gebäude“, wie Kalkanci sagt. Sie wecke bei ihm viele Assoziationen an kriegerische Auseinandersetzungen weltweit. Die Verfolgung der Kurden in der Türkei kam ihm gleich in den Sinn, als er das Bild entwickelte. Aus der Türkei floh der oppositionelle Kunststudent einst nach vier Jahren Haft Mitte der 80er-Jahre.

Ansonsten aber scheine das Thema Krieg heute keine so große Rolle mehr zu spielen, sagt Pütter. Zumindest gilt diese Feststellung für die Bilder der Ausstellung. Sie wundert sich darüber, dass niemand auf die Bombardierungen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg Bezug genommen habe. Die Britin Rachel Lumsden etwa zoomte sich über Google Earth die Gedächtniskirche kurzerhand auf den heimischen Computer. Was da als Schema zu sehen war, übertrug sie anschließend auf die Leinwand. Eine flüchtige Momentaufnahme entsteht so, die ein kurzes Aufflackern von Erinnerung symbolisieren könnte.

Die New Yorkerin Mandy Rosenberg setzt architektonische Fragmente der Gedächtniskirche aus einzelnen Fotos um eine kleine schwarze Tafel zusammen, auf der als Schwarzweißskizze der alte Glockenturm zu sehen ist. Schemenhaft bleibt die Kirche auch in Rafael Mundis Werk, die der Argentinier mit dünnen Strichen auf hellblauem Grund skizziert. Eine golden schimmernde Kugel zerbirst darauf. Farbige Partikel flirren darüber hinweg wie in einem Bild von Paul Klee.

Für wen die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche schon lange kaum mehr als ein pittoreskes Symbol des Friedens war, der staunt darüber, wie anregend die Auseinandersetzung mit der Ruine offensichtlich für die Maler war. JÖRG BRAUSE

Die Ausstellung ist bis 21. September 2008 in der Kapelle zu sehen