Hohe Hürden für grüne Anleger

In abstrakten Märkten mit komplexen Produkten droht der Aspekt Nachhaltigkeit sich zu verflüchtigen. Eine verbindliche Sprachregelung gibt es nicht. Was ethische Anlagen auszeichnet, entscheidet letztlich die Definitionsmacht des Privatanlegers

VON TILMAN VON ROHDEN

Der Markt für grüne Geldanlagen ist in den letzten Jahren immer vielfältiger geworden. Mittlerweile gibt es 174 in Deutschland zugelassene nachhaltige Fonds mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro. Rund 30 Indizes für nachhaltige Unternehmen versuchen den Markt abzubilden. Ecoreporter.de beobachtet rund 100 in Deutschland börsennotierte Unternehmen. Zum Markt zählt unter anderem auch eine große Anzahl von Zertifikaten. Der milliardenschwere grüne Finanzmarkt spiegele die Produktvielfalt des normalen Markts wider, sagt der Ecoreporter.de-Chef Jörg Weber.

Mit dem Wachstum des Marktes kam die Vielfältigkeit – und die Unübersichtlichkeit. Es geht schon bei den Begriffen los. Ethische Geldanlagen sind möglicherweise etwas anderes als grüne oder nachhaltige Geldanlagen. Eine verbindliche Sprachregelung gibt es nicht. Doch auch wer glaubt, die Begriffe fein säuberlich trennen zu können, hat noch längst nicht Klarheit. Was soll man beispielsweise von einem Index und seinen Anlageprodukten für alternative Energien halten, die neben Unternehmen aus den Bereichen Wind, Solar, Ethanol und Geothermik auch den Bereich Erdgas berücksichtigen? Ist es gerechtfertigt, Erdgas zu den alternativen Energien zu zählen? Und darf man in diesem Fall von Nachhaltigkeit sprechen? Für die Deutsche Bank stellen sich solche Fragen erst gar nicht, denn alternative Energien sieht das Frankfurter Haus nicht im Kontext von Sustainability.

In vielen Fällen läuft die Finanzbranche dem allgemeinen und üblichen Sprachverständnis davon. Nach dem üblichen Sprachgebrauch würde niemand den Ölkonzern BP als nachhaltiges Unternehmen einstufen, ebenso wenig die Betreiber von Atomkraftwerken wie RWE oder Eon. Und dennoch werden diese Unternehmen im wichtigsten Index für nachhaltig wirtschaftende Unternehmen, dem Dow Jones Sustainability Index (DJSI), gelistet. Dieser Aktienindex, der es mittlerweile zu vielen Ablegern gebracht hat, schließt keine Branchen von vornherein aus. Die Erbauer und Betreiber von Atomkraftwerken, Ölmultis oder Unternehmen, die zu einem erheblichen Maße mit Rüstungsgütern handeln, sind im Prinzip willkommen. Bewertet werden die Unternehmen im Rahmen des Best-in-Class-Prinzips nach ökologischen, sozialen und unternehmerischen Aspekten: Die besten nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen aus 57 Industriebereichen finden sich im Index wieder.

Das Best-in-Class Prinzip ohne strenge Ausschlusskriterien mag Traditionalisten auf die Palme bringen. Doch es gibt Gründe, die für dieses Prinzip sprechen. Schlösse man von vornherein viele Branchen und Unternehmen aus, so argumentiert man bei Sam Group, die für den DJSI-Index das Research macht, würde dies die Signalwirkung reduzieren. Für viele Unternehmen gäbe es keinen Anreiz mehr, die Aufnahme in den prestigeträchtigen Index anzustreben. Der Index würde das Prinzip Nachhaltigkeit nicht mehr optimal entfalten.

Zugleich kommt der DJSI Traditionalisten entgegen, denn er existiert auch in einer Fassung, die Unternehmen, die mit Alkohol, Tabak, Glücksspiel, Rüstung oder Waffenproduktion zu tun haben, ausschließt. „Die ethische Entscheidung, eine Industrie vollkommen auszuschließen, überantworten wir bewusst dem Anleger“, sagt Alexander Barkawi von Sam Group. Dass der durchschnittliche (ethisch motivierte) Anleger in jedem Fall weiß, was er sich mit solchen Indexprodukten ins Portfolio packt, darf jedoch bezweifelt werden.

„Irreführung“ unterstellt deshalb Norbert Schnorbach, Projektleiter für den Naturaktienindex, (NAI), der seit 1997 besteht und 30 internationale Unternehmen listet. Negative Kriterien sind unter anderem: Atomenergie, Waffenproduktion, Diskriminierung von Frauen, Diskriminierung von sozialen oder ethnischen Minderheiten, Kinderarbeit, Tierversuche, Gentechnik in der Lebensmittelproduktion oder die Erzeugung von ausgesprochen umwelt- oder gesundheitsschädlichen Produkten. „Ein Autokonzern hätte im NAI derzeit keine Chance“, sagt Schnorbach. Den Erwartungshorizont vieler grüner Anleger dürfte der NAI dennoch irritieren, finden sich dort doch Unternehmen wie Shimano (Fahrradkomponenten) oder Ricoh (Büromaschinen). Im Übrigen erkauft sich NAI seinen unbestritten guten Ruf mit einer relativen Bedeutungslosigkeit. Nur ein Fonds und ein Zertifikat beruhen auf dem NAI. Das auf dem Index versammelte Kapital ist eine Petitesse im Vergleich zur DJSI-Familie, mit deren 69 Lizenzen für Geldprodukte 4 Milliarden Euro verwaltet werden.

Während Schnorbach die Vagheit des Kriteriums „Nachhaltigkeit“ konstatiert und zugleich im Wissen objektiv richtiger ethischer Entscheidungen agiert, ist man bei Ecoreporter.de, das den Markt für ökologische Geldanlagen publizistisch begleitet, vorsichtiger. Chef Jörg Weber versteht sich als berichtender Journalist, nicht als Portfolioberater. „Anlegerentscheidungen treffen Anleger. Ich liefere die entsprechenden Informationen.“

Die grünen Produkte seien genauso kompliziert und abstrakt wie im konventionellen Markt. Die Abstraktheit des Finanzmarktes führe dazu, dass die Bedeutung von „Nachhaltigkeit“ letztlich eine Frage der Definition sei. Das ist beunruhigend, aber nachvollziehbar: Ob Tierversuche für Kosmetika verantwortbar sind, ist eine ethische Frage, die in individuellen Entscheidungen ihre Lösung findet. Ob ein Aktien- oder Fondskauf wirklich nachhaltige Wirkung zeitigt, entscheidet der Markt. Wenig spricht gegen den Verdacht, dass das vom Anleger investierte Kapital nie beim Unternehmen ankommt.

Zugleich, so Weber, sei bei ethischen Geldanlagen „in aller Regel drin, was draufsteht. Man muss nur das Kleingedruckte lesen.“ Es komme nur sehr selten vor, dass Ecoreporter.de Produkte wegen offensichtlich unhaltbarer Aussagen an den Pranger stelle. Wie nachhaltig sich die eigene Geldanlage auswirkt, hängt nach Weber entscheidend vom intellektuellen Engagement des Anlegers ab. Damit kehrt Weber zu den Ursprüngen der Ethik zurück. Zu glauben, Ethik sei ein Kanon des moralisch Guten, ist vielleicht modern, aber im Grunde ein Missverständnis. Ethik heißt in der philosophischen Tradition, vernunftbasierte Normen und Werte zu entwickeln. Kant formulierte: „Was soll ich tun?“ – und gab auch die Antwort: Sich selbst fragen.