Happy Kuscheln

Nach dem gekürzten Interview mit Wladimir Putin chattet Thomas Roth gegen die Vorwürfe der Manipulation

Notgedrungen muss sich der Leiter des ARD-Studios in Moskau dem internetaffinen Publikum stellen. Denn Blogger und deren Kommentarschreiber hatten – zumindest in der Mehrzahl – krawallartig Thomas Roth, der „Tagesschau“ und somit der ARD Zensur unterstellt.

Roth hatte am 29. August kurzfristig eine Interviewzusage von Russlands Premierminister Wladimir Putin bekommen. Eine Stunde Interview – „übrigens ohne jede Themenbeschränkung“. Roth war begeistert.

„Die ARD hatte sich zu Recht entschlossen, nicht nur in der ‚Tagesschau‘ und den ‚Tagesthemen‘ darüber zu berichten, sondern auch noch zehn Minuten zusätzlich zur Verfügung zu stellen“, schwärmte der ehemalige Leiter des Berliner Hauptstadtstudios.

Doch genau daran stießen sich die Blogger. Zentrale Frage: Zehn Minuten von einer Stunde Gespräch – wer entscheidet, was drinbleibt und was rausfliegt? Jens Berger von spiegelfechter.com war einer der Ersten, die das Thema aufgriffen. Seit dessen Veröffentlichung mit der markigen Einstiegsfrage „Wo fängt Zensur an?“ und der selbst gegebenen Antwort „Die ARD hat in diesem Falle die Grenze zwischen journalistischer Verantwortung und Meinungsmanipulation überschritten“, sammelten sich über 450 Kommentare unter dem Beitrag. Schließlich trafen sich Roth und die Blogger auf tagesschau.de zum Chat.

Doch nach weit über tausend Kommentaren kam dabei wenig heraus. Außer, dass der Korrespondent Roth ein zufriedener Mensch sein muss: Er hat sich sehr gefreut darüber, dass dem Putin-Interview fast 10 Minuten Zeit eingeräumt wurde. Und das Senden des kompletten Gesprächs zur zuschauerunfreundlichen Zeit um 6.20 Uhr? „Ich war froh, dass wir die Langfassung im WDR-Fernsehen zeigen konnten.“ Nur über das Kürzen des Interviews an sich war Roth nicht froh, aber das sei nun einmal Teil der journalistischen Arbeit und „die Kürzung selbst habe ich nach streng nachrichtlichen Kriterien vorgenommen“.

Bedenkt man, dass genau diese strenge Anwendung nachrichtlicher Kriterien dem „Zensor“ ARD und dessen ausführender Gewalt Thomas Roth abgesprochen worden war, erschien die Stunde im Chat-Room viel zu kuschelig. Nur einmal spiegelten sich die Emotionen aus den Blogs wider: Roth wurde gefragt, wie er sich die große Empörung über die Kürzungen erkläre. Antwort: Es könne sich nur um Unwissenheit der Zuschauer über journalistische Gepflogenheiten des Kürzens handeln. Nicht schlimm. Schlimm sei lediglich, „dass von nicht wenigen wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, ich hätte dabei ein manipulatives Interesse gehabt“.

Am Ende des Chats war aber auch Roth wieder in guter Stimmung: „Ich finde das ganz toll und freue mich darüber“, antwortete Roth auf eine Frage, die wohl von einem „Tageschau“-Schreibtisch aus formuliert wurde: „Ist es nicht ein Gewinn für einen Journalisten, wenn er die Diskussion über einen Beitrag im Internet fortführen kann? Zuschauerbindung pur!“ Das gibt einem dann doch zu denken – wer zensiert eigentlich die Fragen im „Tagesschau“-Chat? Beruhigend zu wissen, dass die Blogosphäre sich dessen annehmen wird. JÜRN KRUSE