Sanfte Revolution in Kiel

Die Handballer des THW Kiel haben ihren Fehlstart korrigiert und besiegen den HBW Balingen-Weilstetten. Das entspannt Kiels neuen Trainer Alfred Gislason, der mit dem Vermächtnis von Übervater Noka Serdarušić arbeiten muss

Kiel und Flensburg müssen sich nun dem „Angriff des Geldes“ erwehren

Beim THW-Kiel ist nach dem deutlichen 30 : 24 bei Balingen-Weilstetten eine Teilentwarnung ausgerufen worden. „Das war eine richtig große Verbesserung im Vergleich zum Spiel gegen Dormagen“, sagte Kapitän Stefan Lövgren. Dennoch sitzt der Schock vom letzten Mittwochabend noch tief. Wer da in die Augen der Spieler, Trainer und Funktionäre sah, konnte meinen, die Mannschaft habe gerade das erste Mal seit fünf Jahren den deutschen Meistertitel verspielt.

Dabei war gar nicht viel passiert. Der THW hatte zwar völlig überraschend gegen den Aufsteiger Bayer Dormagen in eigener Halle einen Punkt abgegeben, aber so etwas kommt früh in der Saison, wenn die gerade im Handball so wichtigen Automatismen noch nicht richtig eingespielt sind, schon mal vor. Außerdem waren vier Schlüsselspieler gerade erst vom olympischen Turnier heimgekehrt und Olympiasieger Nikola Karabatić wegen einer Armverletzung gar nicht einsatzbereit. Aber es war eben kein ein x-beliebiger Saisonstart, sondern der erste seit 15 Jahren ohne den geschiedenen Trainer Noka Serdarušić, den Übervater dieser Mannschaft.

Der Neubeginn nach einer langen, erfolgreichen Ära wird immer mit besonderen Ängsten begleitet, doch die jetzige Kieler Situation ist im deutschen Sport nur noch vergleichbar mit dem einstigen Abschied Otto Rehhagels von Werder Bremen. Aber während Rehhagel-Nachfolger Aad de Mos binnen Wochen ein funktionierendes Team über den Haufen warf, gibt sich Kiels neuer Trainer Alfred Gislason als sanfter Reformer. „Es gibt immer etwas zu verbessern, jeder Trainer hat ja auch seine eigene Vorstellung“, sagte Gislason bei Dienstantritt kontrolliert offensiv, wohl wissend, dass er es fast exakt mit der gleichen Mannschaft zu tun hat, die seinem Vorgänger treu ergeben war.

Gislasons bislang größte Veränderung neben der Hinwendung zur offensiven 5 : 1-Abwehr ist die Einführung der Rotation. Vorgänger Serdarušić ließ seine Stamm-Sechs stets so lange wie möglich durchspielen. In Balingen erhielt nun erstmals Kreisläufer Igor Anic in der Startformation den Vorzug vor Marcus Ahlm.

Für Schlagzeilen sorgten in der Vorbereitung aber vor allem die Neuerungen außerhalb des Spielfeldes. Ein erstmals angesetztes öffentliches Training wurde bereits als Indiz für „Glasnost“ an der Förde interpretiert. Und in der Anregung der Ärzte, die leeren Kohlehydratspeicher statt mit Brot auch mal mit einer Cola zu füllen, sahen einige Beobachter schon „fast eine Revolution“.

Da dem Vernehmen nach auch der Morgenappell gelockert wurde, wird jeder Spielzug nun dahingehend beäugt, ob die Spieler mit den gelockerten Zügeln auch umgehen können. Dabei wird allgemein mit einem noch härteren Kampf um den Titel als im letzten Jahr gerechnet.

Die langjährigen Platzhirsche aus Kiel und Flensburg müssen sich endgültig dem „Angriff des Geldes“ erwehren: Besonders der HSV Hamburg mit seinem schwerreichen Vorstandschef Andreas Rudolph trumpft groß auf und hat unter anderem die beiden stärksten Flensburger Rückraumspieler, Marcin Lijewski und Blaženko Lacković, an die Elbe geholt. Ähnlich aggressiv gehen die Rhein-Neckar-Löwen mit den Millionen von SAP-Gründer Dietmar Hopp vor. Sie warben den starken Isländer Guđjón Valur Sigurđsson für rund 250.000 Euro vom VfL Gummersbach ab.

Während Flensburgs Sportdirektor Anders Dahl-Nielsen zur nervösen Gegenattacke bläst und „die Mäzene angreifen“ will, bleibt sein Kieler Kollege Uwe Schwenker ganz ruhig: „Wer Sorgen hatte, wir könnten uns finanziell nicht mehr steigern, kann diese begraben“, so das Kieler Alpha-Tier. Die Gelassenheit hat ihren Grund: trotz Rudolph und Hopp hat der THW Kiel mit 7,8 Millionen Euro immer noch den größten Etat der Liga.

RALF LORENZEN