Der Geist von Sanssouci

Das „M100“-Forum aus Medienmenschen und Elder Statesmen debattiert die Nachrichtenlage im Kaukasus

Die „World Awards“, geleitet von Michail Gorbatschow und gesponsert von einer österreichischen Investmentgruppe namens „Superfund“, haben Ingrid Betancourt gerade zum „Woman of the Year“ 2008 bestimmt. Da hatte die Francokolumbianerinden den „M100-Sanssouci Medien Preis“ schon überreicht bekommen. Allerdings nicht in Potsdam.

Dort wurde im Neuen Palais am Freitag lediglich ein etwas unterbelichteter Film gezeigt, in dem Laudator Roger Köppel (Weltwoche) den symbolischen Preis übergab. Und wie die Frau, die zwei Monate und drei Tage zuvor noch im Dschungel an einen Baum gefesselt war, sich in einer bewegenden Dankesrede („Ich glaube, es ist wichtig, dass Sie verstehen, wie immens mächtig die Medien im Leben derer sind, die leiden“) als sehr würdige Preisträgerin erwies.

Im hoch friderizianischen Schlosspark von Sanssouci tagt seit 2005 immer im Sommer das Forum „führender Persönlichkeiten aus Medien und Politik“, das sich „M100“ nennt. Es gehört wie der letzten Mittwoch zu Ende gegangene Kongress (taz vom 2. + 3. 9.) zur Berliner Medienwoche. Und führt in seinem Beirat aus Honoratioren vom Londoner Verleger und Mathias-Döpfner-Freund Lord Weidenfeld bis zum tschechischen Außenminister Fürst Karl (Karel) zu Schwarzenberg noch immer Stefan Aust als Herausgeber und Chefredakteur des Spiegels. Im entrückten Ambiente, dessen preußische Bauherren ihre Ämter ja auch auf Lebenszeit auszuüben pflegten, nehmen sich die Uhren eben etwas mehr Zeit.

Dieses Jahr aber wurden vor der Preisgala Diskussionen von ganz verblüffender Aktualität geführt. Das Thema „Eurasien“ stand dabei schon seit dem Frühjahr fest, lange bevor ihm der Krieg im Kaukasus unvermittelte Brisanz verlieh. Insofern hallten emotionale Fragen durch den goldfigurenverzierten Raum wie die, warum westliche Medien gar nicht darüber berichten, dass Nord- und Südosseten wie einst Deutsche und noch immer Koreaner eine geteilte Nation seien. Das fragte Alexey Nikolov, Chefredakteur des Nachrichtensenders „Russia Today TV“. Deswegen nicht, antwortete jemand aus dem Publikum, weil die meisten Grenzen in den heutigen Konfliktgebieten einst von Josef Stalin aus Herrschaftskalkül gezogen wurden. Womöglich aber stecken auch George Soros und der Bankrott des internationalen Finanzsystems hinter dem Kaukasuskrieg – auch diese Ansicht wurde in der offenen Sitzung des Kolloquiums geäußert.

Die Diskussionen seien intensiver und bitterer als üblich, versicherte Diskussionsleiter John Lloyd vom Reuters Institute aus Oxford. Jeder Teilnehmer hatte Beispiele für News parat, die in den internationalen Medien nicht vorkamen; meistens nannte auch jemand Gegenbeispiele. Die Berichte der westlichen Medien hätten im Fall Georgien ohnehin keinen Einfluss gehabt, glaubt Louis Schweitzer, Aufsichtsrats-Vorsitzender bei Le Monde in Paris.

Völlig unterschiedliche Perspektiven, schwierige Fragen, keine Lösungen – wenn sich darüber Journalisten austauschen, die aus dem Westen wie aus Georgien und Russland, Aserbaidschan und der Ukraine kommen, ergibt das vielleicht tatsächlich Sinn. CHRISTIAN BARTELS