ausgehen und rumstehen
: Neue Muschimasken nähen

Am frühen Freitagabend führte michmein Weg an einem Designerbrillenladen vorbei, aus dem mit vollem Karacho „99 Luftballons“ schallte, während sich fehlsichtige MittebesucherInnen mit Bieren in der Hand lasziv zwischen den Gestellen aufgebaut hatten. Bei denen stimmt wohl nicht nur was mit den Augen nicht, gab ich meinem Saufkumpan angeekelt zu verstehen. Denn wir waren schon in den Achtzigern jung und können bestätigen, wie fies das war.

Von den Sechzigern wissen wir das allerdings nicht, darum stapften wir weiter Richtung Pfefferberg, um uns beim spektakulären „Summer Safari“ Soul- und 60s-Allnighter ein paar dufte Anziehtipps von den scharenweise mit viel Gepäck angereisten Beatchicks abzupauschen: Rosa Polyesterhänger mit eingeklebten Achselpads zu Sandalen. Goldene Stiefel zum goldenen Kleid. Dünne Jungs mit dicken Kajalstiftstrichen um die fiebrigen Augen wie Jimmy Cooper aus „Quadrophenia“. Meterhohe, nach original Drei-Wetter-Taft duftende Beehives. Ich versuchte ein paar Go-go-Schritte zu der schottisch-französischen Band „Les bof!“, warf vor den Augen der dünnen Jimmy-Cooper-Mods mit wissendem Gesichtsausdruck ein paar Smarties ein und wiegte meinen Booty gemütlich bei Ska und Rocksteady von Intensified, dessen glatzköpfiger, schwarzer Sänger dafür bekannt ist, dass er Musikern, die mehr als zwei unterschiedliche Noten spielen, zuruft: „Oi, what are you playing that for, you jazz wanker!“

Ich blieb in einem der Barräume vom Bassy hängen, denn dort strippten in einer Burlesque-Endlosschleife entzückende dicke Frauen im Fernsehen, eine nach der anderen, eine Berufskleidung aufsehenerrender als die andere. Das Rennen machte eine Dame im Katzenkostüm, die – vermutlich fauchend – barfuß und mit puscheligem Schwanz auf der Bühne herumstromerte, und unter ihrem tigerfellgestreiften Katzenslip noch ein ganz kleines, an dünnen Fäden aufgehängtes Slipchen trug, das ihre Scham durch ein Katzengesicht verdeckte und von weitem und im körnigen Schwarzweiß der Original-50s-Aufnahme aussah wie ein extrem dichter Busch. Für Fans sozusagen. Mein neben mir müde seinen Averna ausschlürfender Ausgehfreund murmelte „Coole Muschimaske“, und ich bestellte schnell die nächste Runde, um die Wortspiele gar nicht erst weiter ausufern zu lassen.

Ich musste an die Geschichte denken, wie ein entfernter Bekannter bei einer Landhochzeit in der Nähe von Münster auf die höfliche, eine Gesprächslücke überbrückende Frage einer der lächelnden Bräutigamfamilienangehörigen, woher sich das Paar eigentlich kenne, ohne mit der Wimper zu zucken geantwortet hatte: „Aus dem Swingerclub Coerde.“ Wobei das für uns Großstädter natürlich kein bisschen skandalös klingt, wir leben ja schließlich in Swingerclubs, wenn wir nicht gerade neue Bondagetechniken ausprobieren oder uns neue Muschimasken nähen. Aber die arme Westfälin zittert bestimmt immer noch.

Am Samstag ging ich dann auf gleich zwei vierzigste Geburtstage. Auf dem einen wurde von Anfang bis zum Ende durchgetanzt, und als eine der Gäste versehentlich eine Menge Rotwein auf den Boden kleckerte, tanzte die Gastgeberin in die Küche, holte einen Feudel und feudelte die Stelle im Takt weg, ich könnte schwören, sie summte dazu „Blood on the dance floor“. Auf dem anderen gab es für jeden Gast drei mickrige Getränkecoupons, das Geburtstagskind wollte uns wahrscheinlich vor uns selbst schützen. Nützte aber nichts, ich ging nach den Bons wieder rüber zur ersten Party, tat so, als ob ich komplett nüchtern sei, und trank noch den Gegenwert von mindestens zwei virtuellen Bonrollen, bis der Morgen dämmerte und ich mich fühlte, als ob ich weder in den Sechzigern noch in den Achtzigern, sondern ungefähr in den Zwanzigern jung gewesen sei. JENNI ZYLKA