In der Vielfalt liegt die Kraft

Ming-Chu Yu ist die Leiterin der Fachabteilung für China-Restaurants im Hamburger Hotel- und Gaststättenverband. Ihr Ziel ist, das Image der chinesischen Gastronomie zu verbessern. Hilfreich ist dabei unter anderem die nun anstehende Hamburger Veranstaltungsreihe „China Time“

VON KLAUS IRLER

Der Schriftzug auf diesem Schwarz-Weiß-Foto sieht aus wie aus dem Vorspann eines Edgar-Wallace-Films. „Tunhuang“ steht da auf großen Glasscheibe, und darunter: „Chinesisches Restaurant“. Es ist ein Foto aus dem Jahr 1956, und es sieht so aus, als hätte sich der Fotograf mehr für das Auto interessiert, das sich in der Scheibe spiegelt, als für das neue Lokal. Dabei gab es 1956 durchaus schon Autos in Deutschland. Ein chinesisches Restaurant aber gab es in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht: Das „Tunhuang“ war das erste. Das zumindest berichten verschiedene Zeitungen unwidersprochen.

Das „Tunhuang“ befand sich in Hamburg in der Nähe des Jungfernstiegs. Sein erster Koch war Yue Yu-Hai, der per Schiff aus Hongkong kam, mit einem Fünfjahresvertrag, eigenem Geschirr und diversen Gewürzen im Gepäck. Sein Stil, schreibt das Magazin Hamburg, „prägt bis heute maßgeblich die Speisekarten chinesischer Restaurants“.

Yue Yu-Hai holte sehr bald seine Tochter Ming-Chu zu sich. Ming-Chu wuchs in Hamburg auf, machte Abitur, studierte, eröffnete zusammen mit ihrem Mann zwei China-Restaurants und leitet heute die Fachabteilung für chinesische Gastronomie beim Hamburger Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Es ist die erste und bislang einzige Dehoga-Fachabteilung dieser Art in Deutschland.

Was gute Gründe hat: Hamburg hat mit rund 15.000 Chinesen nicht nur die größte chinesische Gemeinde in Deutschland, auch mit rund 150 Chinarestaurants ist Hamburg bundesweit vorn. Die Stadt tut viel, um sich als „Brückenkopf Chinas in Europa“ zu etablieren, schließlich winkt durch die Handelsbeziehungen insbesondere für den Hafen das dicke Geschäft. Ab dem 12. September findet in Hamburg nun das Festival „China Time“ statt, eine Veranstaltungsreihe mit Beiträgen aus Kultur, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft (siehe Kasten).

Für die Arbeit von Ming-Chu Yu und der chinesischen Dehoga-Fachabteilung sind das alles gute Voraussetzungen, keine Frage. Allerdings sind die Ziele, die Frau Yu verfolgt, deutlich schwieriger zu erreichen als die der Reedereien und Logistikunternehmen. Frau Yu arbeitet nicht mit Containern. Sie will, dass deutsche Gäste die chinesische Küche neu entdecken. Dazu muss sie Glutamat- und Fast-Food-Klischees überwinden und den Deutschen die Vielfalt der chinesischen Küche nahe bringen.

Was erst mal damit anfängt, dass im Norden Chinas anders gekocht wird als im Süden, Westen oder Osten. Natürlich. Aber hier ins Detail zu gehen, würde schon viel zu weit führen. Frau Yu weiß, dass sie die Deutschen da abholen muss, wo sie sind – wenn es zu außergewöhnlich wird, ziehen die Deutschen nicht mit, und die chinesischen Köche bleiben sitzen auf ihren Gerichten. Seegurken, Haifischflossen, Sehnen vom Rind – alles schon zu exotisch.

Gleichzeitig stimmt es nicht, dass chinesische Küche in Deutschland nichts zu tun hätten mit chinesischer Küche in China. „Die Gerichte, die es in Chinarestaurants in Deutschland gibt, gibt es auch in China überall. Sie werden nur überall unterschiedlich zubereitet“, sagt Frau Yu. Peking-Ente, Chop-Suey, Frühlingsrolle, Schweinefleisch doppelt gebraten – alles feine Sachen, auch für Chinesen. Was der chinesischen Speisekarte hierzulande den Ruf der Standardware eingebracht hat, war die Entwicklung weg vom China-Restaurant hin zu den Imbissen und Lieferservices. „Die haben die Karten von den Chinarestaurants genommen und die Gerichte vereinfacht und preiswert angeboten“, sagt Frau Yu. „Nun müssen wir etwas tun, um uns davon abzusetzen.“

Dazu gehört eine veränderte, regional gefärbte Speisekarte, möglicherweise in Kombination mit speziellen Menüs zu besonderen Anlässen wie dem Mondfest, das nach dem traditionellen chinesischen Kalender am 25. September stattfindet. Außerdem will Frau Yu vermitteln, dass „bei uns jedes Gericht einzeln gekocht wird. Dementsprechend kann es variiert werden. Wir können mehr als das, was es auf den Standard-Karten gibt.“

Dazu brauchen Frau Yu und ihre Mitstreiter Köche aus China. Was gar nicht so einfach ist: „Die Köche aus China dürfen nur für vier Jahre hierbleiben“, sagt Frau Yu, eine längere Aufenthaltsgenehmigung sei derzeit nicht zu bekommen. Unklar seien die Regelungen für die Renten- und Arbeitslosenversicherung der Spezialitätenköche mit zeitlich begrenzter Aufenthaltsgenehmigung. Das sind dann die Fragen, die die Dehoga-Fachabteilung zu klären versucht.

Mit der Idee, eine Interessenvertretung der chinesischen Restaurants im zutiefst deutschen Hotel- und Gaststättenverband unterzubringen, stieß Frau Yu bei ihren chinesischen Kollegen zunächst auf Skepsis, zumal es immer wieder eigenständige Verbände gab, in denen sich die Chinesen organisierten. „Ich bin in Deutschland sozialisiert“, sagt Frau Yu. „Aber die Kollegen hatten Angst, dass wir im Dehoga nicht mehr eigenständig wären und hinterherlaufen müssten.“

Frau Yu hingegen sah die Vorteile, die das Dehoga-Netzwerk bietet. Und sie sah die Regelungen und die Klischees, die ihr und ihren Kollegen das Leben schwer machten. In Sachen Glutamat hätte sie gerne gleich eine Kampagne gestartet – sah dann aber ein, dass das auch nach hinten hätte losgehen können.

„Ja, es wird in der chinesischen Küche in vielen Gerichten Glutamat verwendet. Aber es ist nicht üblich, dass es in großen Mengen verwendet wird. Die, die das tun, denen gehört auf die Finger gehauen“, sagt Frau Yu. Glutamat würde als Gewürz verwendet, so wie Salz: Ohne wäre schwierig, aber zu viel macht alles kaputt. „Manche Kollegen haben schon Angst, Glutamat auf der Speisekarte zu deklarieren, weil es so negativ besetzt ist. Das ist ungerecht.“

Es ist ein Problem, das ihr Vater noch nicht hatte und dessen Lösung wiederum mit Menschen wie ihrem Vater zu tun hat: Wo ein richtiger Koch Gerichte einzeln zubereitet, kann man auf individuelle Bedürfnisse eingehen.

So viele Restaurant-Neueröffnungen wie früher gebe es nicht mehr, sagt Frau Yu. Auch sei der üppige Palaststil vergangener Tage komplett passé. Die kulinarische Zukunft, scheint es, sieht so aus, wie Frau Yu ihr eigenes Restaurant eingerichtet hat: elegant und zurückhaltend. Und im Arrangement flexibel.

Hamburger China-Restaurants im Netz: www.chinesecuisine.de